Rezension

Ungewöhnlicher Thriller, der berührt und verstört

Die Schneelöwin
von Camilla Läckberg

Bewertet mit 5 Sternen

Dieser neue Roman der schwedischen Schriftstellerin Camilla Läckberg ist gleichzeitig der neunte Teil ihrer Thrillerreihe, in deren Fokus erneut ihr ungewöhnliches Ermittlerduo – Hauptkommissar Patrick Hedström und seine Frau, die Schriftstellerin Erica Falck – steht. Die Schneelöwin hat mir als Leserin einiges abverlangt, denn das brisante Thema des Buchs Gewalt in Familien wird schonungslos, sehr realitätsnah und mit erschreckender Brutalität behandelt und ist Dreh- und Angelpunkt dieser beängstigenden und aufwühlenden Geschichte. Gleich zu Beginn des Romans gab es einen Moment, an dem ich gedacht habe, dass ich hier jetzt einfach nicht mehr weiterlesen kann, da mich der anfängliche Gewaltlevel sehr schockiert hat. Ich bin zwar recht hartgesotten, was hochspannende und explosive Thriller angeht, aber der Beginn des Romans war für meinen Geschmack schon grenzwertig. Ich habe mich aber dann trotz allem zum Weiterlesen entschlossen und kann jetzt rückblickend sagen, dass dies die richtige Entscheidung war. Denn wie Läckberg das o.g. Thema ganz leise zum roten Faden ihrer Story werden lässt, wie sie das Grauen hinter verschlossenen Türen und die Gewalt hinter der gut-bürgerlichen, heimischen Fassade schleichend transparent werden lässt, ist schriftstellerisch bemerkenswert und zeigt einmal mehr, warum sie zu den besten Kriminalschriftstellerinnen unserer Zeit zählt.

Die dramatische Rückkehr eines Opfers

Als die seit Monaten verschwundene 15-jährige Victoria Hallberg plötzlich in einem Waldgebiet nahe des schwedischen Küstenortes Fjällbacka wieder auftaucht und völlig verstört auf eine Landstraße läuft, wird sie von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Im Krankenhaus stellt man entsetzt fest, dass Victoria brutal misshandelt und entstellt wurde. Das Ermittlerteam um Patrick Hedström hofft darauf, dass das Mädchen, das mittlerweile ins Koma gefallen ist, wieder aufwacht und ihnen einen Hinweis auf den psychopathischen Täter geben kann, denn neben Victoria sind noch vier weitere Mädchen aus der Region spurlos verschwunden. Doch Victoria überlebt ihr Martyrium nicht, und Hedström bleibt ohne jeden Hinweis zurück.

Ein spektakulärer Fall

Zeitgleich arbeitet Hedströms Frau, die Schriftstellerin Erica Falck, an einem Buch über Gewalt in Familien. Vor diesem Hintergrund hat sie einen spektakulären Fall aus dem Jahre 1975 recherchiert: Laila Kowalski erstach damals ihren gewalttätigen Ehemann Vladek, einen ehemaligen Zirkusmitarbeiter/Dompteur, weil er ihre gemeinsame Tochter Louise, die wild und aufsässig war, im Keller angekettet hatte. Man fand Laila mit dem Messer in der Hand neben der Leiche ihres Mannes, wo sie sogleich ein Geständnis ablegte. Danach hat sie sich nie wieder zu ihrer Tat geäußert.

Die geheimnisvolle Täterin

Umso überraschter ist Erica, als Laila zustimmt, ihr einen Interviewtermin zu gewähren. Doch die Verurteilte ist äußerst wortkarg und gibt Erica viele Rätsel auf. Zudem erhält Erica von ihr auch nicht die Informationen, auf die sie gehofft hatte. Es folgen weitere Treffen, und nach und nach beschleicht Erica das dunkle Gefühl, dass mit diesem Fall etwas ganz und gar nicht stimmt. Und sie soll Recht behalten: Durch den Hinweis einer Gefängnismitarbeiterin erfährt sie, dass Laila in einer kleinen Dose heimlich alle Zeitungsartikel über die verschwundenen Mädchen aufbewahrt. Es scheint also einen Zusammenhang zwischen den mysteriösen Fällen zu geben, der sich jedoch weder Erica noch Patrick und seinem Team erschließt.

Eine entscheidende Spur

Die Zeit läuft ihnen davon, und die Suche nach den Mädchen wird immer nervenaufreibender, bis Erica schließlich völlig unerwartet einen kleinen, aber entscheidenden Hinweis entdeckt. Patrick und seinem Team bleibt am Ende nur eine Chance: Sie müssen an ihre Grenzen gehen, um den Psychopathen zu entlarven und das Versteck der Mädchen zu finden, bevor er völlig außer Kontrolle gerät…

Exzellenter Thriller à la Läckberg

Die Schneelöwin ist ein exzellenter Thriller in der bewährt hochwertigen Tradition Camilla Läckbergs, der den Spannungsbogen erst ganz am Ende auflöst, obwohl man meint, die Wahrheit schon erahnen zu können. Die Autorin porträtiert scheinbar normale Familien und das gut gehütete Grauen hinter ihren Türen so realitätsnah, dass es nur sehr schwer erträglich ist. Das Eintauchen in die Gedankenwelt der Opfer und Täter, das die Schriftstellerin mit ihrem pointierten Erzählstil ermöglicht, legt das schreckliche Ausmaß an Gewalt und Gefühlskälte offen und zeigt, wozu Menschen letztendlich fähig sind. Das für Läckberg untypische offene Ende des Romans schockt die Leser ein weiteres Mal und lässt sie mit einem äußerst mulmigen Gefühl zurück.

Alles in allem ist der Autorin wieder ein spannender Pageturner gelungen. Ihr unkonventionelles Ermittlerehepaar Patrick Hedström und Erica Falck, das mit seinen drei Kindern so erfrischend normal-chaotisch ist, trägt darüber hinaus entscheidend zum Erfolg dieser Romanreihe bei. Erica, die sich zum Leidwesen ihres Mannes immer in laufende Mordermittlungen einmischt, ist draufgängerisch und unterschätzt oftmals die Gefahr, in die sie sich begibt, aber sie liefert ihrem Mann immer wichtige Hinweise. Patricks Chef, Bertil Mellberg, der gerne im Rampenlicht steht und der Presse voreilig Erfolge präsentiert, und die anderen Ermittler – Martin Molin, der stille Gösta Flygare, die temperamentvolle Assistentin Paula Morales und Annika vom Empfang – bilden ein unkonventionelles Team, das gerade wegen der unterschiedlichen Herangehensweisen seiner Mitglieder so erfolgreich ist. Der Leser erfährt nach jedem Buch mehr Privates über die einzelnen Figuren – ein Aspekt, der Läckbergs Romane umso lesenswerter macht.

Einen kleinen Abstrich muss ich allerdings machen: Mir war das Buch an einigen Stellen zu brutal. Das ist ansonsten auch eher untypisch für Läckberg, denn ich kenne alle ihre Romane. Dieser klug konzipierte Thriller, der in Atem hält, ist meines Erachtens daher eine brillante Empfehlung für Leser mit starken Nerven.