Rezension

Atmosphärischer Roman über Freundschaft und Vergangenheit

Die Wälder - Melanie Raabe

Die Wälder
von Melanie Raabe

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geister der Vergangenheit

„Manchmal, ganz selten, kommt nachts etwas heraus aus den Wäldern und wandelt durch die Straßen. Und noch viel seltener, immer nur dann, wenn jemand beerdigt wird, dann tanzen die Wesen aus dem Wald mit den Geistern der Verstorbenen des Dorfes.“

Inhalt

Als Nina Schwarz die Nachricht bekommt, dass ihr ehemals bester Freund aus Kindertagen an einer Überdosis gestorben ist, macht sie sich auf den Weg in das Dorf in dem sie einst zusammen lebten. Tim, ihr Freund hat ihr kurz vor seinem Tod einen Brief geschrieben, in dem er sie bittet, zu vollenden, was sie sich einst als Kinder versprochen hatten, weil er genau das passende Puzzleteilchen gefunden hat, was ihnen damals fehlte, um die Schuld eines Mannes zu beweisen. Auch David und Henri die beiden anderen Freunde der damaligen Clique haben einen derartigen Brief bekommen und so treffen sie sich alle wieder, um zu vollenden, was ihnen der Verstorbene aufgetragen hat. Doch so einfach ist es nicht, den mittlerweile gealterten Mann, zur Strecke zu bringen, besonders weil es nicht ganz klar ist, welche Schuld er tatsächlich am Mord von Tims Schwester trägt. Denn Gloria, die vor mehr als 20 Jahren als 17-Jährige spurlos verschwand, geistert immer noch durch die Wälder und die Leichen, auf die sie stoßen sind männlich und nicht weiblich. Und warum wusste Tim so wenig über die wahren Hintergründe? Nina, David und Henri müssen selbst herausfinden, wer die wahren Geister ihrer Vergangenheit sind …

Meinung

Die deutsche Bestsellerautorin Melanie Raabe konnte mich bereits mit ihren Büchern „Die Falle“ und „Die Wahrheit“ überzeugen. Ihre Thriller sind weder blutrünstig noch brutal, sie berühren viel mehr das Genre Romane und erzählen meist eine Geschichte, in der es nur zweitrangig um Mord und Totschlag geht, sondern in erster Linie um psychologische Faktoren im Rahmen eines Verbrechens. Und in dieses Schema reiht sich auch ihr aktuelles Buch, bei dem sie subtil mit den geheimen Ängsten ihrer Protagonisten spielt und schreckliche Kindheitserinnerungen heraufbeschwört.

Besonders spannend und zunächst sehr verwirrend empfand ich die verschiedenen Erzählstränge aus der Vergangenheit und Gegenwart, denn lange bleibt es bei dunklen Vorahnungen, mutmaßlichen Beschuldigungen ohne Beweisen und einer dunklen Kindheitsfantasie, bei der man als Leser nicht sicher sein kann, ob sie der Realität entspringt oder der kindlichen Vorstellungskraft. Doch bereits im ersten Drittel konzentriert sich Frau Raabe auf die Reise von Nina zurück ins Dorf und die Wälder ihrer Kindheit und spätestens dort entwickelt sich der Thriller zu einem echten Pageturner, bei dem man unweigerlich auf den Fortgang der Geschichte gespannt ist. 

Der Text lebt weniger durch die charakterlichen Eigenschaften der Protagonisten, bleibt auch sprachlich ganz klar beim Unterhaltungsniveau und liest sich flott hintereinander. Der eigentliche Knackpunkt sind die freundschaftlichen Beziehungen der Erwachsenen und ihre unterschiedliche Gewichtung im Laufe der Jahre – alle haben sich weiterentwickelt, keiner hat das Gestern vergessen, doch jeder bemüht sich eine gewisse Fassade aufrecht zu erhalten. Erst der Tod des ehemaligen Freundes bringt die anderen wieder zusammen und gemeinsam müssen sie nicht nur eine Aufgabe lösen, sondern auch ihren neuen Platz in der Geschichte einnehmen. 

Fazit

Ich vergebe gute 4 Lesesterne für diesen Spannungsroman, der kein typischer Thriller ist und der sich demnach auch nicht an die Spielregeln zwischen Tätern, Opfern und Richtern hält. Der Schauplatz und die Protagonisten bieten dennoch genügend Potential, um ein gruseliges Szenario heraufzubeschwören, bei dem es nicht nur um Schuld, Rache und Verantwortung geht, sondern auch um die Werte und Beständigkeit diverser Kontakte. Ein gelungener Mix aus Perspektiven, ein schwammiges Gestern, welches nach Auflösung schreit und das Versprechen der Kindheit, zu beenden, was einst begonnen wurde …

Eine Verfilmung könnte ich mir ausgesprochen gut vorstellen.