Rezension

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Bildgewaltig und atmosphärisch dicht

Das Haupt der Welt - Rebecca Gablé

Das Haupt der Welt
von Rebecca Gablé

Im Krieg zwischen den Sachsen und Slawen wird der slawische Fürstensohn Tugomir bei einem Angriff auf seine Heimat Brandenburg gefangen genommen und mit seiner Schwester ein Kriegsgefangener von König Heinrich I. Am Hof des deutschen Königs macht Tugomir sich bald einen Namen als Heiler und rettet das Leben von Heinrichs Sohn und Nachfolger Otto und wird dessen Leibarzt. Zwiegespalten hilft er fortan den kranken und verletzten Sachsen und ist mehr denn je zwischen zwei Welten zerrissen, als Otto sich nach seiner Krönung mit einem Krieg konfrontiert sieht, den er nicht ohne Tugomirs Hilfe gewinnen kann.

„Du bist ein Mann, dem andere bereitwillig folgen. Und in den Zeiten, die jetzt kommen werden, braucht unser Volk solche Männer mehr denn je. Darum würde ich sagen, dein Krieg fängt gerade erst an.“
- Das Haupt der Welt, S. 146

Mit Das Haupt der Welt beschäftigt Rebecca Gablé sich zum ersten Mal mit dem deutschen Mittelalter und ich war mehr als neugierig auf ihr neues Buch, mit dem sie sich auf neues Terrain wagte, hatte aber keine Zweifel daran, dass mir dieses Buch genau wie ihre anderen gefallen würde. Ich kenne Gablés bildhaften Stil und sie hat Geschichte bisher immer sehr lebhaft geschildert. Genau wie bei ihrem neusten Werk, das einen rasanten Einstieg bietet. Der Leser wird mitten ins Geschehen geworfen und erlebt mit, wie die Brandenburg der Slawen von den Deutschen belagert und schließlich gestürmt wird. Man lernt Tugomir und Dragomira in ihrem alten Leben kennen, nur um dann mitanzusehen, wie sie aus diesem gerissen und Kriegsgefangene Heinrichs werden. Gablé zeichnet ein anschauliches Bild des Konflikts, der sich weiter fortsetzt, Tugomir und Dragomira haben es am Hof der Sachsen schließlich alles andere als einfach. Hintergrundwissen ist allerdings nicht notwendig, Gablé versteht es, Geschichte so zu erzählen, als würde man sie gerade miterleben und liefert genug Informationen, um sich als Leser alle Zusammenhänge erschließen zu können.

Auf den ersten 200 Seiten plätschert die Handlung leider etwas seicht vor sich hin und für mich war, wie schon bei Hiobs Brüder, kein roter Faden erkenntlich, doch die Handlung spitzte sich mit einigen Taten der Charaktere mehr zu und wurde dichter und es entwickelte sich schließlich doch noch eine lebhafte Geschichte, von der man unbedingt wissen wollte, wie sie weiter geht und gegen Ende vermag Gablé noch einmal mit einer erstaunlichen Wende zu überraschen, die einen den Atem anhalten lässt.
Wie man es bereits aus ihren anderen Büchern kennt, versucht Gablé mit dem Zusammenlaufen mehrerer Erzählstränge alle Seiten des Konflikts zu beleuchten und schreibt die Geschichte aus den unterschiedlichen Sichten ihrer Charaktere fort. Trotz der wechselnden Erzählperspektive wirken die Charaktere anfangs recht blass, was sich zwar mit dem Fortlauf der Geschichte auch ein wenig bessert, doch ein wirklicher Held, mit dem man sich identifizieren kann, fehlt ein wenig beziehungsweise stirbt der, der am sympathischsten war, im Laufe der Geschichte. Tugomir, der wie der Klappentext andeutet, wohl der Held der Geschichte sein soll, bleibt mir leider immer ein wenig zu geheimnisvoll und nicht ganz greifbar. Andere Charaktere, zum Beispiel Tugomirs Schwester Dragomira, wirken für mich einfach zu naiv, genau wie Otto, der zu nachsichtig und gut ist und dessen Charakter es möglich macht, dass sich der Krieg zu einer „Never ending story“ entwickelt. Gablé hat sich hier jedoch nur an historische Fakten gehalten und im Nachwort selbst zugegeben, dass ihr Ottos Nachsicht mit der Zeit auf die Nerven gegangen ist.

Trotz weniger historischer Quellen hat Gablé wieder ein großes Maß an geschichtlichen Details in ihr Buch eingebracht, die einfach nur fesseln, und die Geschichte durch liebevolle Details ihrer Recherche aufgewertet. Ihre Schilderungen von der Welt der slawischen Götter und Tugomirs geschildertes Wissen über Heilkräuter und –methoden sind sehr anschaulich und lassen die Geschichte erst so richtig lebendig wirken.
Gablé ist wieder ganz in ihrem Metier und hat mit ihrem neuen Roman bewiesen, dass sie auch das deutsche Mittelalter aus den Seiten auferstehen lassen kann und hat Realität mit Fiktion atmosphärisch mitreißend und glaubhaft vermischt.