Rezension

Eine Frauenfreundschaft wie ein rotes Band

Sturmmädchen -

Sturmmädchen
von Lilly Bernstein

Bewertet mit 5 Sternen

Wahnsinnig atmosphärisch erzählt, mit Gefühlen, die einen fertigmachen

Sturmmädchen ist die Geschichte dreier Freundinnen zur Zeit des Nationalsozialismus, die mich so tief berührt hat, als wäre ich die vierte Freundin im Bund.

Elli, Käthe und Margot sind seit früher Kindheit miteinander befreundet und das obwohl sie so unterschiedlich sind: Käthe, die in ärmlichen Verhältnissen aufwächst und das uneheliche Kind ihrer Schwester großzieht. Margot, die aus reichem Elternhaus und aus der Stadt kommt und die das Landleben nur durch das Ferienhaus kennt. Elli, die eine Missbildung ihres Beines hat und Zeitlebens als Hinkemädchen gehänselt wird. Doch der Unterschied, der die Freundschaft strapaziert und letztendlich teilweise zerstört, kommt durch den Nationalsozialismus. Denn Käthe wird strenge Anhängerin der Ideologie, während Margot als Jüdin zur Verfolgten wird. Und Elli steht zwischen den beiden. Doch sie fühlt sich Margot viel näher und will ihr und ihrer Familie helfen.

Geschichten aus dem Nationalsozialismus habe ich schon viele gelesen und auch diese erzählt kein Leid, das man nicht schon gelesen haben könnte. Was mich allerdings so gefesselt hat, war der atmosphärische Erzählstil. Ich habe wirklich das Gefühl gehabt, mich selbst in den ärmlichen Verhältnissen in dem kleinen, alten Backhaus zu befinden. Nicht nur die Geschichten von unterernährten Kindern, sterbenden Säuglingen und dem Hunger haben dazu beigetragen, sondern auch, dass Elli die Geschichte erzählt. Sie hat selbst ein Handicap, wird gehänselt und muss fürchten, selbst als Mensch zweiter Klasse gesehen zu werden. Und diese Befürchtung schwingt zwischen allen Zeilen mit. Gleichzeitig hat sie aber so ein großes Herz, will helfen und versteckt sich nicht. Doch sie weiß nicht, wie und auch nicht, wem sie noch trauen kann und was sie denken soll bei den vielen ungesagten Geheimnissen, die jeder um sie herum zu haben scheint. So schleicht sich im Verlauf der Geschichte auch eine Angst um das eigene Leben ein und ein Misstrauen gegenüber den Mitmenschen, das man förmlich spüren kann. Elli aber wird immer mutiger und entschlossener, selbst etwas zu tun. Diese Persönlichkeitsentwicklung hat sich sehr authentisch angefühlt, genau wie die Gefühle so realistisch transportiert wurden, dass sie mich richtig mitgerissen haben.

Zu diesen Gefühlen und der bedrückenden Atmosphäre gesellen sich aber auch eine kaum auszuhaltende Spannung, ob alles funktioniert wie geplant, und ein Funke Hoffnung, der immer wieder aufglüht. Ich habe mir die ganze Zeit über so sehr ein Happy End für Margot und ihre Familie gewünscht. Genau das hat mich aber sehr nachdenklich gemacht, wenn ich das Buch mal aus der Hand gelegt habe: Denn ich habe mir ein Happy End für die jüdische Familie herbeigesehnt, obwohl man aus heutiger Sicht genau weiß, dass es für die meisten Juden damals kein Happy End geben konnte. Und das hat mich wirklich traurig gemacht.

Gut gefallen hat mir auch, dass die Autorin die Freundschaft der drei Mädchen, auch wenn sich Käthe durch die Ideologie von ihnen entfernt hat, immer wieder aufgreift. Sie begegnen sich immer wieder und führen kurze Unterhaltungen, sodass der rote Faden nicht abreißt, und am Ende weiß man auch warum. Das fand ich wirklich gelungen!

Für mich schon jetzt eines der Lese- oder Hör-Highlights in diesem Jahr!