Rezension

Unterhaltsames Jugendbuch mit liebenswerten Charakteren

Schau mir in die Augen, Audrey
von Sophie Kinsella

Bewertet mit 4 Sternen

Zum Inhalt

In der Familie der 14jährigen Audrey herrscht der ganz normale Wahnsinn. Mutter Anne ist eine Gesundheitsfanatikerin und versucht alles, um Audreys älteren Bruder Frank von seiner angeblichen Computerspielsucht zu heilen, auch wenn sie dabei weit übers Ziel hinausschießt. Vater Chris ist ein gutmütiger Workaholic. Und der 4jährige Felix ist einfach nur zum Knuddeln.

Audrey könnte also ein ganz normaler Teenager sein - wären da nicht ihre durch ein Trauma an ihrer Schule ausgelösten Angstattacken. Sie verkriecht sich im Haus und versteckt ihre Augen hinter einer Sonnenbrille, unfähig, mit Fremden zu sprechen oder selbst den eigenen Familienmitgliedern in die Augen zu sehen. Die Idee ihrer Therapeutin, einen Film über ihre Familie und ihr Umfeld zu drehen, findet sie deshalb auch nicht besonders ansprechend.

Doch dann läuft sie Franks Freund Linus über den Weg, der ausnahmsweise keine Panik in ihr auslöst. Gelingt es Linus, Audrey aus ihrem Schneckenhaus zu locken?

Meine Meinung

Ich kenne viele Kinsella-Bücher wie z. B. die Shopaholic-Reihe. Für mich ist sie eine typische Chick-Lit-Autorin, die ihre Protagonistinnen immer etwas überzeichnet. Zumindest sind die meisten von ihnen naive, teils selbstzentrierte Madames, die aber trotzdem etwas Liebenswertes an sich haben. Nun war ich gespannt, wie Kinsella an ein Jugendbuch herangehen würde, zumal es ja hier um ein ernstzunehmendes Thema geht.

Die Charaktere sind wirklich sehr gelungen und haben ihren ganz eigenen Charme. Audrey ist ein sympathisches Mädchen mit Hang zur (Selbst-)Ironie, das nicht nur die erste Liebe, sondern auch zu sich selbst findet und eine starke Entwicklung durchmacht. Da die Geschichte in Ich-Form geschrieben ist, nimmt der Leser Anteil an Audreys Gefühlschaos und begleitet sie bei ihren Angstattacken sowie ihrem Heilungsprozess.

Audreys Mutter ist eine Wucht und sorgt definitiv für die größten Lacher im Buch. Als hysterische Gesundheitsapostelin gängelt sie ihre Familie mit immer neuen Ideen, und der Konflikt um Franks Computerspielsucht spitzt sich immer weiter zu. Ein bisschen übertrieben ist der Charakter sicherlich, und manche könnten auch von Anne genervt sein, ich jedoch fand sie sehr erfrischend, sie brachte für mich am meisten Energie in die Geschichte. Auch die restlichen Familienmitglieder haben zwar ihre Macken, aber sind alle sehr liebenswert. Linus hingegen war mir etwas zu perfekt, man war ja förmlich gezwungen, ihn zu mögen. Ich hätte ihm ein paar mehr Ecken und Kanten gewünscht.

Der Schreibstil ist gewohnt locker und humorvoll. Die Thematik mit den Angstattacken wird respektvoll von der Autorin behandelt, aber auch ab und an mit einer Prise Humor gewürzt. Die Sprache ist sehr lebendig, und Teile der Geschichte sind als Filmskript wiedergegeben, wie sie Audrey durch ihre Kamera erlebt. Ich konnte mir die ganze Zeit alles lebhaft vorstellen und finde, dass das Buch eigentlich eine geniale Filmvorlage bietet. 

Zwei Kritikpunkte habe ich aber: Audreys Genesungsprozess ging mir etwas zu hoppladihopp, wenn man bedenkt, wie lange sie schon mit ihren Dämonen kämpft und wie wenige Fortschritte sie bisher gemacht hatte. Natürlich hat man sich bei jedem Schritt nach vorne gefreut, aber ob es wirklich realistisch ist, wage ich zu bezweifeln - auch wenn ich das fachlich nicht einschätzen kann.

Außerdem haben mir mehr Informationen über den Auslöser von Audreys Zustand gefehlt. Es werden oft Andeutungen gemacht, aber was ihr genau zugestoßen ist, wird nicht erzählt. Manche mögen sagen, dass das nicht nötig ist, da die Geschichte auch so zu Ende erzählt werden konnte. Aber ich hätte es einfach gerne gewusst, einerseits aus purer Neugier, andererseits auch um zu verstehen, wieso Audrey so dermaßen aus der Bahn geworfen wurde. Schade, dass man hier weiterhin im Dunkeln tappen muss.

"Schau mir in die Augen, Audrey" ist ein humorvolles, dynamisches Buch mit liebevollen Charakteren. Ich denke, Kinsella hat hier gezeigt, dass sie nicht nur Chick Lit schreiben kann.