Rezension

Endzeitstimmung und den aktiven Kampf gegen das System sucht man im Auftakt der Trilogie vergeblich

Bitterzart - Gabrielle Zevin

Bitterzart
von Gabrielle Zevin

Die Stadt, die zu unserer Zeit niemals schläft, ist mittlerweile ein trostloser Ort. Wolkenkratzer stehen leer und Museen sind Relikte der Vergangenheit. Wasser und Papier müssen mittlerweile rationiert werden und Genussmittel wie Kaffee und Schokolade sind komplett verboten.  Die verbotenen Früchte schmecken jedoch bekanntlich am besten, daher floriert das Schwarzmarktgeschäft des Balanchine-Kartells. Allerdings hat genau dieses Geschäft das Leben der 16-jährigen Anya zerstört. Durch einen hinterhältigen Anschlag verlor sie bereits als kleines Mädchen ihre Mutter. Ziel des Angriffs war jedoch ihr Vater, das Oberhaupt des Balanchine-Clans. Auch er wurde einige Jahre später brutal aus den Leben gerissen. Seit diesem Tag ist Ayas Kindheit vorüber. Anya, ihre jüngere Schwester Natty sowie der ältere Bruder Leo leben seit diesem Tag zum eigenen Wohl in der Obhut der Großmutter Nana, während Anyas Onkel die Führungsposition im Kartell übernommen hat.

Nana ist jedoch mittlerweile selbst pflegebedürftig, daher lastet die Verantwortung für die ganze Familie auf den Schultern des jungen Mädchens. Leo kann die Familie nicht versorgen. Seit er den Mord an seiner Mutter miterleben musste, ist er kaum in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. Mit jedem Tag wächst daher Anyas Sinn für Verantwortung. Sie spinnt Strategien, um das Leben der Familie zu meistern. Das disziplinierte Mädchen erlaubt sich nur selten einen Ausrutscher, doch eines Tages passiert es: Anya verliebt sich ausgerechnet in ihren neuen Mitschüler Win, den Sohn des stellvertretenden New Yorker Oberstaatsanwaltes. Und sein Vater macht keinen Hehl daraus, dass er dieser Beziehung keine Chance geben wird. Anya weiß, dass dieser Mann ihren ungewöhnlichen Lebensumständen schnell ein Ende bereiten kann. Daher muss sie sich nun entscheiden, wie viel sie für die Liebe riskiert.

Gabrielle Zevin lässt keinen Zweifel daran, dass die Gesellschaft in der Zukunft brüchig und zerfallen sein wird. Und trotzdem will sich diese beklemmende Endzeitstimmung beim Lesen nicht so recht einstellen. Innerhalb der Handlung wird zwar immer wieder von knappen Ressourcen und schreienden Ungerechtigkeiten berichtet, doch die allseits aus Dystopien bekannte, düstere Hoffnungslosigkeit der Gesellschaft wollte sich nicht so recht einstellen. Da sich die Handlungsschauplätze unter anderem stark auf die Highschool und das Zuhause der Balanchines konzentrieren, erinnert der Roman zwischenzeitlich an eine simple Teenagerromanze. Ich wünschte und erhoffte mir tiefere Einblicke in den Schwarzmarkthandel und die mafiösen Strukturen der Familie. Beide Themen wurden eher oberflächlich angesprochen, waren für mich jedoch ein ausschlaggebender Grund, diese Dystopie lesen zu wollen.

Die Ausgestaltung der Charaktere gefiel mir hingegen schon deutlich besser, obwohl ich zu Anya nur sehr schwer Zugang fand. Obwohl sie die Geschichte selbst rückblickend erzählt, scheint sie ihre Leser durch ihre nüchterne und reservierte Art ebenso auf Distanz zu halten wie ihr Umfeld. Häufig erscheint sie dadurch wie eine Erwachsene im Körper eines jungen Mädchen. Vielleicht wird das jedoch verständlich, wenn man bedenkt, wie viele Prüfungen ihr in ihrem noch recht jungen Leben bereits gestellt wurden. Doch spätestens wenn sie von ihrem “Daddy” spricht, wird auch Anyas weicher Kern sichtbar. Bei Win hätte ich mir hingegen einige Ecken und Kanten gewünscht. Zwischenzeitlich erschien er mir einerseits zu glatt, aber dann wiederum auch viel zu naiv. Die eigentlich starken Charaktere sind jedoch in diesem Auftakt die Nebencharaktere. Mal mehr oder weniger sympathisch, spannend und nicht immer durchschaubar. Dies gilt nicht nur für Anyas Freunde und Familie, sondern auch für die “Kartellmitglieder”.

Bei mir wollten die großen Gefühle beim Lesen trotzdem nicht aufkommen, allerdings nahm die Geschichte zum Ende hin deutlich an Fahrt auf. Besonders die Liebesgeschichte zwischen Anya und Win erschien mir durch Anyas distanzierte und manchmal fast abgebrühte Art doch eher nüchtern, wohingegen ich Win so manches Mal als sehr anhänglich empfand. Vielleicht mag das jedoch auch einfach daran liegen, dass mich die Nebencharaktere – der gar nicht so einfältige Leo, die schlaue Natty und die loyale herzensgute Scarlett – in diesem Auftakt deutlich mehr begeistern konnten. Wer zu Beginn der Handlung die Erwartungen nicht zu hoch ansetzt und dranbleibt, wird zum Ende hin belohnt, denn ab der Hälfte entwickelt sich eine spannende Handlung, die zu fesseln weiß.