Rezension

Tolle Idee, leider fehlt es an Tiefe

Bitterzart - Gabrielle Zevin

Bitterzart
von Gabrielle Zevin

Schokolade, Mafia, dystopische Elemente, das wunderhübsch gestaltete Cover, SCHOKOLADE - alles Gründe, weshalb ich wusste, dass ich Bitterzart unbedingt lesen muss und das am besten ganz schnell. Ich habe mit einer packenden Zukunftsvision gerechnet, mit einer Mafia-Bande, die der Protagonistin im Nacken sitzt, mit einer herzzerreißenden weil verbotenen Liebesgeschichte.
Leider habe ich auf den ersten Seiten direkt bemerkt, dass dieses Buch meinen Erwartungen wohl nicht entsprechen wird. Und ich hatte recht.

Wer mit einer typischen Dystopie rechnet, bei der sich die Protagonistin gegen das das Volk unterdrückende Regime aufzulehnen beginnt, wird hier enttäuscht werden. Bitterzart weist in dem Sinne dystopische Elemente auf, dass es in der Zukunft spielt und sämtliche Güter streng limitiert oder sogar verboten sind. Wasser und Papier sind knapp, daher muss damit gehaushaltet werden. Kaffee und Schokolade sind streng verboten. Beim Thema Schokolade setzt Bitterzart, wie der Titel bereits andeutet, an. Die Balanchines, die Familie der Protagonistin Anya, ist einer der führenden großen Schokoladenhersteller und auf dem Schwarzmarkt tätig. Um die daraus resultierenden Schwierigkeiten für Anya, vor allem in Liebesdingen, geht es in Bitterzart.
Die Tatsache, dass es sich hier nicht um die "typische" Dystopie handelt, hat mir sehr gut gefallen und war wirklich erfrischend. Die Idee der Geschichte fand ich klasse, aber leider hatte ich mit der Umsetzung so meine Probleme.

Anya erzählt rückblickend ihre Erlebnisse und spricht den Leser unter Umständen auch direkt mal an und kommentiert das Geschehen. So hat die Autorin direkt zu Beginn eine lockere Atmosphäre kreiert und eigentlich sollte man sich Anya so besonders nahe fühlen. Eigentlich. Mir ging es nämlich leider gar nicht so.
Anya, von ihrer Familie und engsten Freunden Annie genannt, hat keine leichte Jugend und Kindheit gehabt. Ihre Eltern wurden beide aufgrund ihrer Tätigkeit im Schokoladen-Business umgebracht, seitdem kümmert sich die Großmutter um Anya und ihre beiden Geschwister. Doch die Großmutter ist schwer krank und Anya wird nach ihrem Tod die Verantwortung über ihren Bruder und die Schwester übernehmen müssen.
Über ihre ungewöhnlichen Lebensumstände klärt die Protagonistin einen direkt auf, aber doch bleibt es nur oberflächlich. Es werden kaum Einblicke in Anyas genaue Gedanken gegeben, wodurch sie für mich sehr blass und fast schon kühl wirkte. Es gibt viele Situationen, in denen Anya das Geschehen hätte reflektieren können, in denen man ihr mehr Tiefe hätte verleihen können. Aufgrund ihrer nahezu unreflektierten Entscheidungen und mangelnder - ja, wie nenne ich es? -, ... Leidenschaft, konnte ich mich kaum in sie hinein versetzen oder auch nur ansatzweise mit ihr mitfühlen.
Auch was die Liebesgeschichte angeht, hätte ich mir mehr gewünscht. Der Klappentext ließ mich eine herzzerreißende Geschichte erwarten, aber leider ist dies für mein Empfinden nicht der Fall. Auch was ihre Beziehung zu Win angeht, ist Anya so...rational und vernünftig. Überhaupt kam mir die Liebesgeschichte zwischen Win und Anya etwas merkwürdig und gegen Ende schon fast absurd vor.

Die Welt, die Gabrielle Zevin hier entworfen hat, finde ich an sich sehr spannend. Vor allem der Aspekt mit Kaffee und Schokolade hat mich interessiert. Warum ist beides verboten?! Der Grund wird auch kurz angerissen, allerdings war das für mich nicht wirklich eine zufriedenstellende Erklärung. Die Logik, dass Schokolade und Kaffee verboten, Alkohol aber frei zugänglich ist - für Jugendliche gibt es auch keinerlei Alkoholverbot -, habe ich nicht ganz verstanden. Viele Aspekte werden ansatzweise erklärt, aber eben nicht ganz.
Mit dieser Oberflächlichkeit hatte ich, was die Protagonistin und was die in Bitterzart erschaffene Welt betrifft, aber auch was den Schreibstil angeht, Probleme. Dem Leser wird aus der Perspektive Anyas das Leben in New York im Jahre 2083 locker leicht erzählt. Für mich wirkte dieser gewollt unbeschwerte Erzählstil etwas holprig und aufgesetzt und ich hatte direkt Probleme damit. Leider zieht sich dies auch durch das ganze Buch.
Zusätzlich hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass durch manche Gespräche und Situationen förmlich gerast wird. Wie bereits erwähnt, gab es sehr viele Momente, in denen man Anya mehr Tiefe hätte verleihen können, in denen man aber auch mal ordentlich Spannung hätte aufbauen können. Situationen, die ein sehr großes Spannungs-Potential haben, werden einfach zu schnell gelöst. Innerhalb weniger Sätze hat sich das Problem dann meist auch wieder erledigt. Vor allem mit Bezug auf den Aspekt der Schokoladen-Mafia hätte man so viel Spannung in die Geschichte bringen können, aber die "fiesen Mafiabosse" sind alles andere als fies.

Insgesamt bin ich von Bitterzart leider etwas enttäuscht. Äußerlich macht das Buch so viel her, aber inhaltlich kann es da nicht ganz mithalten. Die Geschichte bleibt mir an vielen Stellen zu oberflächlich; mir haben Erklärungen, mir hat die Tiefe gefehlt. Aufgrund dessen blieb mir die Protagonistin leider sehr fremd und ich konnte mit ihr nicht mitfühlen.
Die Idee finde ich klasse und ich bin auch neugierig, mit welchen genauen Problemen sich Anya im zweiten Band konfrontiert sieht, so mitgerissen wie erwartet hat mich Bitterzart aber nicht.