Rezension

Familie. Ein Puzzel aus Menschen.

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek - David Whitehouse

Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek
von David Whitehouse

Bewertet mit 5 Sternen

~~Klappentext
Bobby Nusku fristet seine Tage damit, Haare, Kleidungsstücke und weitere Spuren seiner verschwundenen Mutter zu sammeln und zu archivieren. Er fühlt sich im Haus seines grobschlächtigen Vaters und dessen wasserstoffblonder Freundin ziemlich einsam, besonders nachdem sein einziger Freund Sunny eines Tages wie vom Erdboden verschluckt ist. Die Freundschaft zwischen Nachbarsmädchen Rosa und ihrer Mutter Val, die Putzfrau in einem Bücherbus ist, gibt ihm Hoffnung und macht ihm Mut, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Als alles drunter und drüber geht, machen sich Val, Rosa und Bobby gemeinsam mit dem sympathischen Outlaw Joe auf eine verrückte Reise mit Vals Bücherbus quer durch England. Im Gepäck haben sie nur das nötigste: ihre Freundschaft und eine Menge guter Bücher.

 

„Das waren der Moment, in dem Bobby die schwindelerregende Übelkeit kennenlernte, die auf einen eben erst begangenen Fehler folgt. Fehler sind jene Momente, während derer wir die Zukunft so fest umklammern, dass sie uns zwischen den Fingern zerbirst, und wir erkennen, dass wir aus den verbleibenden Bruchstücken eine vollkommen andere Zukunft bauen müssen, eine, die nie wieder so gut sein wird wie vorher. Bobby fragt sich, wie viele Bruchstücke es  wohl geben würde und ob einige von ihnen so klein sein würden, dass er sie nicht mehr aufheben konnte.“ (Seite 35)

Bobby Nusku ist ein einsames und trauriges Kerlchen. Seine Mutter hat die Familie verlassen und er lebt bei seinem Vater und dessen neuer Freundin. Beide leben so, als wäre Bobby überhaupt nicht da. Auch in der Schule wird er gemobbt und sein einziger Freund ist Sunny. Der will sich unbedingt in einen Cyborg verwandeln, damit er Bobby vor den großen und bösen Jungs beschützen kann. Doch eines Tages ist Sunny fort und Bobby vollkommen alleine. Dann trifft er auf Rosa und deren Mutter Val.

„Die Wärme, die seine Gegenwart ihr schenkte, klang noch lange fort, verweilte wie der Abdruck eines Kissen auf der Haut nach einer wohlig durchschlafenden Nacht.“ (Seite 63)

Rosa trifft Bobby durch Zufall hinter der Schule und schleppt ihn mit nach Hause. Ihre Mutter ist zunächst etwas skeptisch was die Freundschaft zwischen den beiden betrifft. Doch auch sie hat Bobby schnell in ihr Herz geschlossen. Gemeinsam verbringen die drei viel Zeit miteinander. Eines Tages beschließen die drei eine Tour mit dem Bücherbus zu machen, in dem Val als Putzfrau arbeitet.

„>In jedem Buch gibt es irgendeinen Hinweis auf dein eigenes Leben<, sagt sie. >Auf diese Weise sind die Geschichten alle miteinander verbunden. Du erweckst sie zum Leben, wenn du sie liest, und dann wirst du das, was darin passiert, auch selbst erleben. <“ (Seite 73)

 Auf ihrer Reise treffen sie auf den Joe. Ein Mann in Vals Alter. Er wuchs ohne Familie auf. Schnell wird allen klar, Joe muss mit auf die Reise. Und so beschließen sie nach Schottland zu fahren, um Joes geheimnisvolles Schloss zu finden. Mit dabei sind die vielen Geschichten aus den Büchern im Bücherbus. Ist eine Geschichte gelesen, so wirft Bobby das Buch aus dem Bus, um eine Spur der gelesenen Bücher zu hinterlassen. Doch der Schein trügt, denn das Unheil ist näher als alle denken …

„Immer wenn er hörte, wie Leute – meistens Lehrer – von Hoffnung sprachen, dann klang es so, als sei das etwas, was man nur in Zeiten der Verzweiflung haben konnte. Bobby glaubte nicht, dass das stimmte. Er wusste zum Beispiel ganz genau, dass seine Mutter zurückkommen würde. Das war Hoffnung. Hoffnung ist eine Konstante, ein Seelenlotsenlicht. Es flackert nie. Es geht nie aus. Und auch wenn sie es vielleicht nicht wissen, so wärmen sich die Menschen doch jeden Tag ihre Hände daran. Es hilft ihnen dabei, morgens aufzustehen. Es bringt sie dazu, das Haus zu verlassen. Es gibt ihnen Kraft, ihr Leben zu meistern.“ (Seite 101)

Was für eine wundervolle Geschichte. Alle Protagonisten sind auf ihre Art und Weise besonders. Bobby hat seit dem Tod seiner Mutter autistische Züge. Rosa rastet auf Grund ihres Down-Syndrom oft aus, aber Val liebt ihre Tochter über alle Maßen. Ihr Mann ging, als nach der Geburt diese Diagnose gestellt wurde. Und auch Joe ist ein Einzelgänger und –kämpfer. Aber alle haben eines gemeinsam … sie suchen Liebe und Geborgenheit. Die Liebe und Geborgenheit, die ihnen ihre Familien nicht bieten oder geben konnten, finden die vier in ihrer kleinen Gemeinschaft. Und das ist das phantastische an diesem Buch … obwohl es so viel Traurigkeit in dieser Geschichte gibt, wird mir beim Lesen ganz warm ums Herz. Ich spüre, wie die vier sich gegenseitig Mut, Hoffnung und Liebe geben. Sie brauchen ihre „Familien“ nicht. Sie brauchen sich, denn …

„Familie ist dort, wo man sie findet.
Eine Familie muss nicht aus einem Vater, einer Mutter, einem Sohn und einer Tochter bestehen. Familie ist dort, wo es genug Liebe gibt. Und für diese vier war es eben jene ungleiche und außergewöhnliche Gruppe von Menschen … Der Junge, die Königin, die Prinzessin und der Höhlenmensch.“ (Seite 282)

Undbedingt lesen, aber Vorsicht … Suchtgefahr!!!