Rezension

Kinder als YouTube Stars

Die Kinder sind Könige -

Die Kinder sind Könige
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4 Sternen

Die Kinder sind Könige – Delphine de Vigan

Melanie war schon als Kind großer Fan von Formaten wie Big Brother. Als recht unsichere Person fühlte sie sich aber stets ungesehen und entwickelt im Laufe der Zeit ein riesiges Geltungsbedürfnis. Später beginnt sie ihre Kinder Sammy und Kimmy bereits im Kleinkindalter in die bunte Welt des Internet einzuführen. Es gibt einen YouTube Kanal, auf dem Melanie praktisch rund um die Uhr ihr Familienleben und ihre Kinder zur Schau stellt. Sammy und Kimmy wachsen mit der Kamera auf und haben bald keine ruhige Minute mehr. Auch als Kimmy den Anforderungen sichtlich immer unwilliger nachkommt, lässt ihre Mutter nicht locker. Für sie hat ihre Community sich längst zu einer Sucht entwickelt. Schließlich verschwindet Kimmy eines Tages plötzlich spurlos.

Ich hatte etwas Angst, dass die Ausgangssituation – ein verschwundenes kleines Mädchen – mir zu nahegehen könnte. Es hielt sich allerdings im Rahmen. Zum Einen erzählt die Autorin mit einer gewissen Distanz, die hier guttut, zum Anderen liegt das Hauptaugenmerk der Handlung auch bei den Ermittlungen, sowohl in der Vergangenheit.

Melanie als Jugendliche wird sehr detailliert skizziert. So kann der Leser gut nachvollziehen, wie diese unsichere junge Frau sich derart in ihrer fiktiven Blase verlieren kann. Sympathisch wird sie dadurch nicht, aber das ist auch nicht nötig. Sie leidet sehr unter dem Verschwinden ihrer Tochter. Aus ihrer Sicht wollte sie immer nur das Beste für ihre Kinder.

Auch die ermittelnde Polizeibeamtin Clara wird genauer vorgestellt und beleuchtet. Trotz eines ähnlichen Alters sind die beiden Frauen grundverschieden. Kein Wunder, dass Clara quasi aus allen Wolken fällt, als sie Einblick in Melanies selbsterstellte Welt und deren Gedanken erhält. Damit ist Clara allerdings nicht die Einzige. Wohl kaum jemand kann sich das Ausmaß und die Oberflächlichkeit dieser YouTube Sendungen wirklich vorstellen. Ganz zu schweigen von dem unermesslichen Schaden, den Melanie damit ihren Kindern zufügt. Es ist ein wirklich tiefer und sehr interessanter Einblick in eine fremde Welt, die Delphine de Vigan hier bietet.

Zugegebenermaßen wurde ich nicht sofort warm mit dem recht kühlen, distanzierten Schreibstil der Autorin, der Anfangs, wie auch die Filminhalte, recht oberflächlich wirkt. Die Erzählung wird immer wieder unterbrochen von Vernehmungsprotokollen verschiedenster Figuren zu Kimmys Verschwinden. Doch nach kurzer Zeit war ich gefesselt und der Roman hat mir gut gefallen. Störend fand ich nur ab und an den doch deutlich wahrnehmbaren erhobenen Zeigefinger der Autorin.

4 Sterne