Rezension

Schatten des Krieges

Findelmädchen -

Findelmädchen
von Lilly Bernstein

Bewertet mit 5 Sternen

1955 Die 15jährige Helga und ihr älterer Bruder Jürgen sind zurück in Köln. Über den Suchdienst des Roten Kreuzes hat ihr Vater sie in Frankreich gefunden. Nachdem die erste Euphorie des Wiedersehens verflogen ist, fallen Schatten auf das Familienglück. 

Das Schicksal der Mutter ist ungeklärt. Dafür führt die Schwester der Mutter das Regiment im elterlichen Haus, eine verbitterte, missgünstige Frau. Der Vater verbietet Helga den Besuch des Gymnasiums und zerstört damit ihren Traum, Schriftstellerin zu werden. Stattdessen muss Helga die Hauswirtschaftsschule - auch Bräuteschule genannt - besuchen. Ihr Praktikum absolviert sie in einem von Nonnen geführten Waisenhaus und findet sich in einem Alptraum wieder. Besonders das Waisenkind Bärbel, ein Besatzerkind, leidet unter der Grausamkeit der Nonnen und der anderen Kinder.

Während Helga versucht, Bärbel das Leben leichter zu machen, gerät ihr eigenes aus den Fugen.

Der Roman nimmt mich von der ersten Seite an gefangen und schickt mich auf eine bewegende Gefühlsreise. 

Ich habe mit Helga und Jürgen gebangt, als sie sich  aus der Geborgenheit ihrer französischen Pflegeeltern auf den Weg ins Ungewisse zum fremd gewordenen Vater machen. Und tatsächlich scheint sich für Helga das Leben zum schlechteren zu wenden. Ich habe wie Helga nicht verstanden, warum ihr Vater  ihr das Gymnasium verbietet. Aus Andeutungen konnte ich entnehmen, dass es möglicherweise mit seiner Vergangenheit zu tun hat.

Besonders widerwärtig war mir die Tante, die der Familie und besonders Helga das Leben zusätzlich schwer macht.

Was mir an Helga gut gefallen hat, sie versucht, die Dinge immer positiv zu sehen. Sie versteht die Entscheidung des Vaters nicht, aber sie liebt ihn weiterhin und versucht , das beste daraus zu machen.

Sowohl für Helga als auch für mich waren die Zustände im Waisenhaus einfach nur grauenvoll und nicht auszuhalten. Was mich zusätzlich belastet hat, wie Frauen, die ihr Leben Gott geweiht haben, so gefühlskalt und sadistisch sein können. Leider entsprechen die Schilderungen der Autorin den historischen Tatsachen.

Auch hier kann ich Helga nur bewundern, dass sie den Verantwortlichen die Stirn bietet - und verliert. Von diesem Moment an scheint sich Helga in einer einzigen Abwärtsspirale zu befinden.. Die Autorin thematisiert in diesem Zusammenhang die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse und Vorurteile. Besonders ledige Mütter und ihre Kinder galten als moralisch verkommen. Bei sexuellen Übergriffen war die betroffene Frau schuld, da sie den Mann durch ihr Verhalten dazu animiert hat.

Nur gut, dass das Buch ein Unterhaltungsroman ist und am Ende sich viele Dinge zum Guten wenden.

In meinen Augen ist der Roman absolut lesenswert, weil es der Autorin überzeugend gelingt, die damalige Zeit dem Leser realistisch näher zu bringen. Obwohl sie mit den Schilderungen der Verhältnisse im Waisenhaus mir einiges zugemutet hat, lässt sich die Geschichte fesselnd und unterhaltsam lesen.