Rezension

Mit voller Wucht und mitten ins Herz

Der Sohn
von Jo Nesbø

Die Leser skandinavischer Kriminalromane kennen den Norweger Jo Nesbø als Autor der mittlerweile zehn Bände umfassenden Reihe mit Kommissar Harry Hole. Sein neuester Thriller „Der Sohn“ ist, wie bereits der 2010 erschienene „Headhunter“, ein Stand-alone, aber deshalb nicht weniger spannend:

Die Hauptfigur ist ein junger Mann namens Sonny Lofthus, Häftling im Vorzeigeknast Staten in Oslo, wo er bereits seit zwölf Jahren einsitzt. Und offenbar fühlt er sich dort wohl, wird er doch von der Gefängnisleitung dafür, dass er die Verantwortung für Verbrechen einflussreicher und wohlsituierter Mitglieder der Gesellschaft übernimmt, mit Heroin und allen anderen Dingen seines täglichen Bedarfs versorgt. Aber auch bei seinen Mitgefangenen ist Sonny wegen seiner ruhigen, fast schon philosophischen Art, hoch angesehen. Alles in allem ein Vorzeigehäftling, wie er im Buche steht – Ratgeber, Beichtvater, Erlöser…

Sonny ist der Sohn eines Polizisten, der nach Korruptionsvorwürfen Selbstmord begangen hat. Bis heute kann er dessen Tod nicht verkraften, war der Vater doch immer der strahlende Held für ihn. Als das Gerücht die Runde macht, dass sein Vater reingelegt wurde und unschuldig war, ist es nicht weiter verwunderlich, dass Sonny alles daran setzt, ihn zu rächen und zu rehabilitieren.

Seinem spektakulären Ausbruch folgt ein Rachefeldzug, bei dem er sich auf die Fersen derjenigen heftet, die er für den Tod seines Vaters verantwortlich macht, denn sie sollen büßen. Und so schreckt er auch vor Mord nicht zurück.

Hier kommt Simon Kefas ins Spiel, Kommissar am Ende seiner Laufbahn und der beste Freund von Sonnys Vater. Ihm wird der Fall nun übertragen, und so verfolgt er die blutige Spur, die dieser hinterlässt und hofft, ihn stoppen zu können.

Lügen und die Suche nach der Wahrheit, Rache und Vergeltung, Auge um Auge, Schuld und Sühne – das sind die Themen, um die es in Jo Nesbøs neuestem Thriller geht. Es sind nicht die spektakulären Action-Szenen, die den Leser an den Seiten kleben lassen, denn die Geschichte als solche kommt eher leise daher. Und dennoch trifft sie den Leser mit voller Wucht ins Herz. Es sind die Personen, die berühren. Die Kompromisslosigkeit, mit der der Sohn seinen Vater rächt. Die Schuldgefühle des Freundes, der einmal mehr zu versagen droht. Die Unfähigkeit, Gefühle auszudrücken.

Daneben treten die Fragen nach der Bestechlichkeit der Vollzugsbeamten und nach der Korruption der Politiker in den Hintergrund. Und es gilt am Ende die Frage zu beantworten, ob und wem Gerechtigkeit die ersehnte Erlösung bringt.

Ganz großes Kino – bitte mehr davon, Herr Nesbø!