Rezension

Wenn nichts ist, wie es scheint...

Der Sohn
von Jo Nesbø

Bewertet mit 5 Sternen

Jo Nesbø gehört zu den erfolgreichsten skandinavischen Krimiautoren, er ist unglaublich talentiert und hat ein treffsicheres Gespür für messerscharfe Drehungen und Wendungen. Der Roman ist so phantastisch gebaut, dass man seinem Sog nicht entkommt. Nesbø geht hier weit über den klassischen Kriminalroman hinaus, weil ihn die Frage interessiert, weshalb sich Menschen auf die Seite des Bösen stellen. (Daily Style)

Sonny Lofthus ist ein merkwürdiger Gefangener. Zweier Morde für schuldig befunden, sitzt er bereits seit 12 Jahren im Hochsicherheitsgefängnis 'Staten' in Oslo. Er redet so gut wie nie, gilt aber unter den anderen Gefangenen als eine Art Heiliger. Er hört ihnen zu und vergibt ihnen ihre Sünden.
Als er jedoch von einem Mitgefangenen erfährt, dass sein Vater Ab Lofthus kein korrupter Polizist gewesen ist, wie er es dem Abschiedsbrief nach dessen Selbstmord entnommen hatte, sondern übel reingelegt wurde, wendet sich das Blatt. Sonny bricht aus dem Gefängnis aus und geht fortan über Leichen, um die Wahrheit ans Licht zu bringen - und um seinen Vater zu rächen.

Simon Kefas stand Sonnys Vater Ab seinerzeit sehr nah, arbeitet immer noch bei der Polizei. Er hat jedoch keine große Karriere gemacht, weil er zu vielen Leuten auf die Füße getreten war und schließlich 'abserviert' wurde. So ermittelt er kurz vor der Pensionierung immer noch als Kommissar bei der Osloer Mordkommission. Und befasst sich nun mit den Mordfällen um Sonny, der eine wahre Schneise schlägt in die Kreise der Unterwelt, aber auch in die Welt der vermeintlich hochangesehenen Upperclass der norwegischen Hauptstadt.
Mit Hilfe seiner jungen Kollegin Kari Adel macht sich Simon Kefas auf die Jagd nach dem Mörder, der Oslo in Atem hält...

Wieder einmal hat es Jo Nesbø geschafft, mich über 500 Seiten sozusagen inhalieren zu lassen. Eine straff verwobene Geschichte mit logisch verschachtelten Handlungssträngen, kaum einmal nachlassender Spannung, überraschenden Wendungen, dazu ein tiefgründiges Geflecht von Motiven und Motivationen.
Sonny Lofthus steht dabei ebenso im Fokus wie der Ermittler Simon Kefas, und um die beiden Gegenspieler rankt sich die Handlung. Die Figuren sind facettenreich, mehrdimensional und in ihren Widersprüchlichkeiten glaubwürdig dargestellt, wobei ich persönlich den Charakterzug des 'Heiligen' bei Sonny etwas überzogen fand - wohl aber verstanden habe, dass dieser gerade für die Darstellung der Widersprüchligkeit sehr geeignet ist.

Denn obwohl natürlich schnell klar wird, dass Sonny ein vielfacher Mörder ist, gewinnt er rasch die Sympathien des Lesers, und es ist in diesem Roman alles andere als einfach, zwischen 'gut' und 'böse' zu unterscheiden. Diese 'Grauzone' taucht bereits in den Romanen um Harry Hole auf, hier jedoch wird sie bis zur Perfektion zelebriert. Ein Mörder als 'Gutmensch'?
Schuld und Rache, Moral und Integrität, die Käuflichkeit des Gewissens und die Verschiebbarkeit von 'richtig ' und 'falsch' - fast schon philosophisch geht der Roman diese Themen an, reichlich gespickt allerdings mit Blut und Tod. Und es ist kein schmeichelhaftes Bild, das Jo Nesbø hier von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft zeichnet - Drogenhandel, Zwangsprostitution, Geldwäsche in hohem Stil, Korruption und organisiertes Verbrechen in höchsten Kreisen... Klar wird in jedem Fall: es gibt keine einfachen Antworten - und als Leser kann man froh sein, gewisse Entscheidung (hoffentlich) nie treffen zu müssen...

Ich liebe die Bücher von Jo Nesbø, schätze seinen Schreibstil, seinen Erfindungsreichtum und seine Fähigkeit des vielschichtigen Erzählens. Trotz des für meinen Geschmack etwas überzogenen Charakters von Sonny stellt dieses Buch keine Ausnahme dar.
Eine unbedingte Empfehlung an alle, die tiefgründige Krimis zu schätzen wissen!

 

© Parden