Der Stoß
Bewertet mit 5 Sternen
Wie so oft ist leider der Originaltitel „The Push“ treffender als der deutsche (wie ich finde nichtssagende) Titel „Der Verdacht“. Denn es handelt sich keineswegs um einen Verdacht. Es ist eine Gewissheit. Blythe, die Protagonistin, weiß genau, was passiert ist. Es war ein Stoß und kein Verdacht.
Blythe schreibt in der Ich-Form und redet ihren Mann an, vielleicht, als würde sie ihm unentwegt Briefe schreiben. Am Ende ist es ein dicker Papierstapel. Blythes Version eben, Seite 12.
Die Ehe beginnt gut und ein Kind soll die Partnerschaft krönen, aber es kommt alles anders, als Blythe und Fox (der immer Angesprochene) sich das denken und wünschen.
Schon als Violet auf die Welt kommt, entstehen die Unterschiede. Für Blythe fühlt sich alles falsch an, während dagegen Fox, der „Neutralisator“, seine Tochter sehr liebt. Die Ehe gerät zunehmend in Schieflage und ein zweites Kind könnte alles wieder richten.
Aber, wenn alles Friede, Freude und Eierkuchen wär, dann wär es kein Roman! Und dies ist ein Roman und zwar was für einer! Möglicherweise für zarte Leser eher ungeeignet, denn es passieren schlimme Sachen. Aber auch das Schlimmste kann mit Wiederholungen an anderen Stellen noch gesteigert werden.
So gerät Blythe von einem Minenfeld aufs nächste, obwohl sie sich alle Mühe gibt, die Vergangenheit zu verkraften und die Gegenwart zu meistern.
Blythes eigene Mutter, Cecilia, die wunderschöne Frau, hat sie früh verlassen und auch Cecilia hatte keine einfache Kindheit. Auf Seite 78 soll Cecilia ein bestimmtes Kleid anziehen, das ihr aber zu eng ist: „SOFORT! In dem Moment begriff Cecilia zum ersten Mal, dass sie eine gewisse Macht über Etta (Cecilias Mutter) hatte. Sie konnte sie wütend machen. Sie konnte sie dazu bringen, die Beherrschung zu verlieren. Sie hätte nach oben gehen und so tun können, als würde sie es erneut versuchen, aber sie wollte sehen, wie weit Etta gehen würde, wenn sie sie einfach ignorierte. Es war ein Kräftemessen. SOFORT, CECILIA:“
Später träumt Cecilia oft davon, ihre Mutter tot aufzufinden, mit dem Kopf im Backofen wie Sylvia Plath, deren Bücher sie manchmal nachts unters Kopfkissen legte. S. 267.
Fazit: Wir geraten beim Lesen auch oft von einem literarischen Minenfeld aufs nächste, das macht diesen Roman so ungeheuer spannend. So lauert man förmlich auf den nächsten „Stoß“, der mit der Gewissheit kommt, mit der die Wagen der Achterbahn in den Abgrund fahren. Wir schreien dann nicht, aber der Roman bleibt noch lange im Gedächtnis, nicht zuletzt auch dank der hervorragenden Übersetzung und des bildschönen Covers. Fünf Sterne voller Respekt, denn Ihr Debüt verdient dickes Lob, Frau Audrain.