Rezension

Die Sprache ist reine Poesie

Der Inselmann -

Der Inselmann
von Dirk Gieselmann

Insel - Einsamkeit - Natur - Sprachlosigkeit - dysfunktionale Familien - Kinderheim - Mobbing - innere Stärke - Resilienz - sprachliche Poesie - Freundschaft - Melancholie

          Was für eine Sprache! Dieser recht schmale Roman erzählt so vieles. Über Einsamkeit, Sprachlosigkeit, dysfunktionale Familien und eigene Stärke. All dies mit einem melancholischen Grundton in einer beeindruckenden, poetischen Sprache. Protagonist ist Hans, den wir im Grunde genommen fast sein ganzes Leben begleiten. Als Zehnjähriger zieht er mit seinen Eltern auf eine Insel in einem See. Für die Eltern ist es wohl eher eine Flucht, nach Innen statt nach Außen. Denn es ist Anfang der 60er in der DDR. Dies wird aber nur mittels einiger weniger Andeutungen klar. Hans fühlt sich sofort wohl auf der Insel, er ist ein stiller Junge, der die Natur liebt und im Hund des vorherigen Bewohners einen neuen Freund findet. Seinen einzigen Freund aus Kindertagen musste er in der Stadt zurücklassen. Ansonsten trauert er der Stadt und der Schule jedoch nicht nach, Hans ist eher Mobbing Opfer als ein Star. Aber er ist gut im Ertragen. Er erträgt, dass er seine Eltern mehr liebt als diese ihn, er erträgt die Sprachlosigkeit in der Familie und die Einsamkeit auf der Insel. Doch als die Schulaufsicht kommt und Hans nun jeden Tag eine Stunde über den See rudern muss, um zur Schule zu gehen, wird sich Hans irgendwann verweigern - was dramatische Folgen haben wird. Aber auch das wird Hans ertragen. Denn sein Ziel bleibt: Er will auf die Insel zurück!

Dem Autor Dirk Gieselmann ist mit "Der Inselmann" ein fulminanter Debutroman gelungen. Sprachlich ausgefeilt und inhaltlich wunderbar und zunehmend schwebend zwischen den Zeiten und zwischen Erinnerung, Traum, Wunsch und Realität. Nicht alles ist klar definiert und Sozialkritik ist (wenn überhaupt) nur unterschwellig zu spüren. Erzählt wird ein einsames Leben eines stillen und wortkargen (aber nicht sprachlosen) Menschen, der mit großer innerer Stärke ein alles andere als einfaches Schicksal lebt. Ein wenig hat es mich an "Ein ganzes Leben" von Robert Seethaler erinnert.

Ich habe es sehr genossen, das Buch zu lesen. Trotz der relativ wenigen Seiten habe ich oft innegehalten, um den Text wirken zu lassen. 
Ich hatte das große Glück, den Autor im Rahmen des "Leseclubfestivals"  in Köln persönlich kennenzulernen und dort mit anderen Leser:innen über den Roman zu sprechen. Daher weiß ich jetzt, dass der Autor gerne viele weiße Seiten eingefügt hätte, um zum Pausieren und Nachfühlen einzuladen. Und, warum das Buch der Inselmann heißt - und wie der Autor die Sprache entwickelt hat. Es war eine sehr interessante Diskussion. Auch dafür ganz großen Dank an alle, die mitdiskutiert haben. 
Und eine große Empfehlung für dieses sehr besondere Buch.