Rezension

Die Ballade von der gepeinigten Kreatur

Der Inselmann -

Der Inselmann
von Dirk Gieselmann

Bewertet mit 3 Sternen

Kurzmeinung: Formal alles in die Waagschale geworfen ... - hat mich trotzdem nicht überzeugt.

Dirk Gieselmann widmet sich in seinem Romandebüt dem Außenseitertum. Irgendwann in den Anfangszeiten der DDR, wahrscheinlich noch vor Mauerbau und nach Laikas unmenschlichem, grausamem Abschuss ins nackte Weltall, zieht eine bettelarme und kommunikationsarme Familie, Vater, Mutter, Kind auf eine im Inland gelegene, sich also noch im System der  DDR befindliche Insel. Ein halbes Jahr später schlägt das System gnadenlos zurück und zerstört den Versuch der Familie, sich zu retten. Wovor auch immer. 

Der Kommentar: 
Der Autor deutet örtliche und zeitliche sowie innere Umstände nur an. Dieses Vage, Fluide ist ein Grundprinzip des Romans. Genaue Angaben sind nicht, alles wird lyrisch umschrieben, „eine Woche verging, vielleicht ein Jahr oder drei“, „es kam nicht nur ein Februar, es kamen gleich zwei oder drei“.Letztlich ist es nur ein einziger Winter und ein kurzer Sommer, zwei Jahreszeiten, die Hans, das Kind auf der Insel verbringen darf.
Einsamkeit, Ausgeschlossenheit und Rückzug sind die Themen Gieselmanns. Er entzündet für die kurze Erzählung, die dennoch ein ganzes Leben umschließt, ein Feuerwerk an Metaphern, vornehmlich bezüglich der Natur: „Auf einer Schneewehe saß der Wasserrabe und betete mit ausgebreiteten Flügeln zur Sonne“. Der Einsatz vielfältiger Stilmittel, die hier nicht aufgezählt werden, man sollte sie selbst entdecken, ist das Auffälligste an diesem kleinen Roman, der bei Licht betrachtet storytechnisch nicht viel Fleisch auf den Knochen hat und am Ende andeutet – wieder einmal, dass er den Stoff einer Legende aufbereitet. Nichtsdestotrotz ist die Atmosphäre des Romanes dicht, wenngleich trostlos.
Mit seiner gezielt lyrischen Sprache, nicht alle Sprachbilder sind rund genug, mit zeitlichen und inhaltlichen Verdichtungen gespickt, spart der Autor die Verpflichtung auf Erklärungen aus, das ist nicht ungeschickt. Hintergründe kann man ahnen, irgendwo im Nebel. But that‘s it. Vielleicht braucht man aber auch gar nicht mehr. Oder doch? Man kann den Roman auch so lesen: eine magere Handlung wird unterfüttert mit einigen plakativen Elementen, die jeder aus dem Zeitgeschehen kennt und gezielt aufgebläht mit lyrischen Bildern. 

Fazit: Letztlich zeigt sich „Der Inselmann“ wie ein langes Gedicht oder wie eine Ballade, die manchmal voller Sprachlust mit dem Surrealen spielt. Es ist ein Roman, der formal etwas Neues wagt, das ist nicht unspannend. Ob dieses Wagnis belohnt wird, entscheidet jeder Leser neu. 

Kategorie: Debüt. Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Kiepenheuer & Witsch, 2023