Rezension

Ein Buch wie eine Achterbahnfahrt

Der Märchenerzähler - Antonia Michaelis

Der Märchenerzähler
von Antonia Michaelis

Bewertet mit 5 Sternen

Langsam, ganz langsam geht es los und wenn man dann angekommen ist, fällt man in die Tiefen des Buches. Unaufhaltsam sausen wir durch und kommen kaum dazu einmal Luft zu holen.Die Fahrt hat für mich auf Seite 50 begonnen und ich habe das erste Mal Luft geholt als ich das Buch zusammenklappte. Das Gesicht vollkommen nass von den Tränen, die mir die Autorin in die Augen trieb.

Aber der eigentliche Protagonist, der uns in dieses Buch zieht ist Abel, der Märchenerzähler. Ein 17jähriger Schüler, der in den Plattenbauten Greifswalds wohnt und versucht sein Abitur zu schaffen. Was nicht leicht ist, denn er lebt alleine mit seiner kleinen Schwester, seitdem die Mutter verschwunden ist. Er muss also neben dem Punkte sammeln fürs Abi, seine kleine Schwester versorgen, dafür sorgen, dass genug Geld im Haus ist und dass keiner etwas davon merkt, dass sie alleine sind. Und es interessieren sich einfach viel zu viele dafür, wie sie das schaffen.

Abel erzählt das Märchen der kleinen Klippenkönigin, die eines Tags von ihrer Insel fliehen muss weil diese droht unterzugehen. Sie lebte dort in einem Schloss, dass nur ein Zimmer hatte. Auf der Insel besaß sie eine weiße Stute. Diese ist es auch diejenige, die sie warnt und bittet auf die höchste Klippe zu fliehen.
Als die Insel fast untergegangen ist, entdeckt sie ein kleines grünes Boot und macht sich auf zum Festland. Aber sie wird von dunklen Jägern verfolgt, die hinter ihr diamantenes Herz her sind.
Dieses Märchen aber hat sehr viel Ähnlichkeit mit der Realität in Abels Leben. Und Anna, die mit Abel die Vorbereitungskurse besucht, zweifelt schon bald ob Abel nur ein Märchen erzählt. Vielleicht wäre auch alles anders gekommen, wenn sie an diesem einen Tag nicht die kleine Puppe seiner Schwester gefunden hätte.

Anna, die in einer scheinbar viel zu guten Welt und viel zu blauer Luft lebt, versucht dem Einzelgänger Abel näher zu kommen. Aber sie wird gewarnt, von Abel selbst und von den Mitschülern Bertil, Gitta und Hennes. Sogar Deutschlehrer Knaake sagt ihr sie soll auf sich aufpassen.

Die Figuren wurden von der Autorin sehr gut gezeichnet, jeden Einzelnen hat man vor seinem inneren Auge und denkt die Protagonisten schon ewig zu kennen. Bertil, der Streber, mit seiner viel zu großen Brille, die im ständig von der Nase rutscht. Anna, das zerbrechliche Rosenmädchen, auf dessen Schultern die Schwere der Welt lastet. Schließlich auch Abel, dem Einzelgänger, der auf dem Schulhof Drogen vertickt.

Das was hier nach einem Roman über die Liebe und Freundschaft anmutet, ist etwas ganz anderes. Mit einem mehr als poetischen Schreibstil versucht Antonia Michaelis einen Roman über die Unüberwindbarkeit gesellschaftlicher Lebensformen zu schreiben. Und das ist ihr wunderbar gelungen. Während der eine nachts scheinbar ruhig schläft und sich um nichts sorgen muss, außer vielleicht um Abel, kämpft der andere gehetzt durch die Nacht.
Es ist kein Liebesroman, nein.

Ich kann euch nur bitten, diese Geschichte zu lesen. Fiebert mit, ob die kleine Klippenkönigin das Festland erreicht. Fragt euch, in was wird sich der kleine Seehund am Ende der Geschichte verwandeln! Und fragt euch, wer es ist, der Jäger mit dem roten Mantel!