Rezension

Sprachlich gelungen, tragisch und stimmungsvoll zugleich

Cascadia -

Cascadia
von Julia Phillips

San-Juan-Inseln - traumhafte Natur - Bären - Armut - fehlende soziale Absicherung in den USA - Reiche Touristen und arme Einheimische - kein sozialer Aufstieg - zu wenig verdienen, um gut zu leben - Schwesternliebe - todkranke Mutter - verpasste Leben - zu lange warten - gefangen in den sozialen Rahmenbedingungen

Ehrlich gesagt hätte ich das Buch nie begonnen nur aufgrund der Leseprobe. Zu düster die Ausgangssituation. Eine Tragödie über verpasstes Leben, Armut und Chancenlosigkeit.
Da ich jedoch "Das Verschwinden der Erde" der Autorin gelesen hatte und das damals überaus beeindruckend fand, habe ich dann doch zugegriffen. Zunächst ist die Lektüre tatsächlich alles andere als leicht. Zwei Schwestern leben auf den idyllischen San-Juan-Inseln vor Seattle. Eigentlich eine begehrte Inselgruppe, hier haben die Reichen ihre Ferienvillen oder Wohnsitze inmitten einer großartigen Natur. Aber es gibt auch die Einheimischen, die für den Komfort der Reichen arbeiten müssen. So wie Elena, die im Service im örtliche Golfclub ihr Geld verdient und Sam, die andere Schwester, die auf den Fähren Kaffee & Snacks verkauft. Beide verdienen nicht genug, um die Arztrechnungen und alle weiteren Kosten für ihre todkranke Mutter zu begleichen. Beide Schwestern träumen davon, die Inseln zu verlassen und endlich ein neues, besseres Leben zu beginnen. Aber dazu müssten Sie das Haus verkaufen und das geht nicht, wegen der Mutter. Wie sich herausstellt, gibt es für die Schwestern eigentlich wenig Grund, die Mutter zu beschützen. Aber wie das so ist, Kinder lieben ihre Mutter, egal was war.... und so leben die Schwestern mit Ende zwanzig immer noch nicht ihr Leben, sondern sind erstarrt und hängen fest. Als ein Bär auf der Insel und sogar vor dem Haus auftaucht, gerät alles in Bewegung, vor allem das Verhältnis der Schwestern zueinander .....
Der Bär ist sicherlich eine interessante Metapher, auch literarturwissenschaftlich zu interpretieren. Das will ich hier nicht anfangen. Jedoch anmerken, dass ein wichtiges Anliegen der Autorin anscheinend das Gefangen sein in bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ist. Die meisten Menschen können sich nicht frei entscheiden, nicht frei agieren, jedenfalls wird dies hier eindrücklich so dargestellt. Die Möglichkeiten sind begrenzt durch die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei bedient die Autorin bewusst kein West-Ost-Klischee. Denn der erste Roman spielte auf der abgelegenen russischen Halbinsel Kamtschatka, auf der das Leben nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion alles andere als leicht war. Auch dort konnten die Protagonisten kaum aus ihrer Haut und vieles nicht tun, wie zum Beispiel auf ihre Kinder aufpassen, während sie doch arbeiten mussten (die Kinder wurden dann entführt). Hier ist es wieder eine abgelegene Gegend und wieder sind die Menschen nicht nur aufgrund der Abgelegenheit der Region gefangen, sondern auch aufgrund der sozialen Rahmenbedingungen. Ein Ausbruch aus dieser Tristesse scheint nur theoretisch möglich. Mit der großen Selbstverwirklichung ist hier nicht. Auch nicht in diesem Roman. Jedenfalls nicht so, wie man es vielleicht gerne lesen würde.
Mich hat das Buch sehr beeindruckt, auch wenn ich vieles schwer zu ertragen fand und die Schwestern am liebsten spontan mal durchgeschüttelt hätte. Ich mag den Schreibstil der Autorin und werde wahrscheinlich jedes ihrer Bücher lesen, daran verzweifeln und dann doch weiterlesen