Rezension

Weise, mit jede Menge zitierwürdigem Inhalt

Der Papierpalast
von Miranda Cowley Heller

Bewertet mit 4 Sternen

Die Geschichte ist sehr gut geschrieben. Vor allem aber versteckt sie zwischen den Wörtern viel Tiefgang, Witz und Weisheit.

„Ich liebe ihn und hasse mich. Ich liebe mich und hasse ihn.“ (S. 14) – Diese zwei Sätze, ziemlich zu Beginn des Buches, haben mich sehr schnell für die Geschichte eingenommen. Sie ist sehr gut geschrieben. Vor allem aber versteckt sie zwischen den Wörtern viel Tiefgang und Weisheit.

Die Handlung spielt an einem einzigen Tag. Einem Tag, an dem sich die Protagonistin Eleanor entschieden muss, ob sie bei ihrem Mann bleibt oder einen Neuanfang mit einer alten Liebe wagt. Doch für diese Entscheidung muss sie mehr einbeziehen, als nur diesen einen Tag. Sie springt zurück in ihre Kindheit und Jugend. Sie beschreibt ihr eigenes Leben, das ihrer Eltern, ihrer Großeltern, ihrer Urgroßeltern, ihrer Schwester, ihrer Stiefeltern und Stiefgeschwister. So bündelt das Buch eine Vielzahl an Lebensgeschichten und Erlebnisse. Daraus entstehen wechselseitige Beziehungen zwischen den Figuren, die die Geschichte spannend und interessant machen, aber leider auch stellenweise etwas langatmig und ausschweifend.

Gleichzeitig war mir aber auch schnell klar, dass das Buch mehr will, als nur Eleanors Leben zu erzählen. Das dient der Autorin lediglich als Beispiel für einige Erkenntnisse, die für alle Menschen, Familien und Ehen gelten.

Zuerst dachte ich, dass es genau darum geht: um Ehe und Familie. Die Figuren im Buch heiraten und lassen sich so oft scheiden, dass mir der Überblick irgendwann schwer fällt. Ich dachte es geht um Liebe, Kinder und Erlebnisse, die verbinden oder trennen. Doch je weiter ich las, desto mehr hatte ich den Eindruck es ging um Schuld. „Jemand muss Schuld haben“ (S. 254) erklärt Eleanors Mutter und hat recht damit. Egal, was in der Geschichte passiert, welche Ehen zerbrechen oder welche Tragödien passieren, immer wird nach einem Schuldigen gesucht, um das Geschehene zu rechtfertigen.

Damit war ich mir sicher den Kern der Geschichte gefunden zu haben, bis ziemlich gegen Schluss ein weitere Satz meine besondere Aufmerksamkeit auf sich zog: „Wirf eine Münze, Eleanor. Wenn dich die Antwort enttäuscht, tu das Gegenteil.“ (S. 421). In der Geschichte geht es also um Entscheidungen. Entscheidungen, die dafür sorgen, dass wir Fehler machen und Schuld auf uns laden. Die dafür sorgen, dass Ehen zerbrechen oder glückliche Familien entstehen.  Ich finde das Buch hat so sehr viele Fassetten des Lebens auf den Punkt gebracht. Das gefällt mir gut.

Die Handlung wird dabei fast nebensächlich; lediglich ein Mittel zum Zweck. Ich hätte sie mir hier und da etwas geraffter und mit mehr Spannungsbogen gewünscht. Was die Handlung in meinen Augen rettet, ist der hervorragende Schreibstil und die Fürsorge, der Witz und die Liebe, die die Autorin in jede Szene und jedes Wort legt. Mir hat sich eingeprägt, mit welchen Satz die Autorin ihren Großvater in der Danksagung zitiert: „Eine Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, und das Ende muss am Anfang schon durchschimmern.“ (S. 443) Es ist ihr gelungen, diesen Rat umzusetzen und eine einfühlsame, kluge Geschichte zu schreiben.