Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

wortgewaltig und tieftraurig

Was fehlt, wenn ich verschwunden bin
von Lilly Lindner

Bewertet mit 5 Sternen

April und Phoebe sind Schwestern. Phoebe ist die wortgewaltige, gesprächige von ihnen, während April eher schweigsam ist, sehr schweigsam. Als April mit der Diagnose „Magersucht“ ins Krankenhaus kommt, bleibt Phoebe mit den Eltern und vor allem mit ihren Fragen allein zurück. Fragen, auf die die Eltern keine Antwort haben oder nicht antworten wollen. Und so schreibt Phoebe Briefe an ihre Schwester – obwohl sie nie eine Antwort erhält.
Was Phoebe nicht weiß: Die Eltern haben April verboten, der Schwester zu antworten, weshalb April ihre Briefe nie abschickt. Und so schreiben sich die Schwestern in die schreckliche Stille hinein, die Aprils Krankheit in der Familie hinterlassen hat.

Lilly Lindner ist ein poetischer, ja wortgewaltiger Roman über die Liebe und den Zusammenhalt zweier Schwestern gelungen.

Zweigeteilt lässt Lilly Lindner erst die neunjährige Phoebe zu Wort kommen. Phoebe legt all ihren Kummer, ihre Furcht und auch ihr Unverständnis über die häusliche Situation in ihre Briefe. Aber auch ihr recht eigenes Wortverständnis. Ein Wortverständnis, an dem ihre Lehrerin und die Eltern verzweifelt sind. Allein April und später Jerry, Vater von Phoebes Freundin Hazel, können damit umgehen.

Später wechselt die Perspektive zu April, die jeden von Phoebes Briefen beantwortet. Und diese – Aprils – Briefe sind wirklich sehr traurig. Zeichnen sie doch ein Bild davon, wie wenig die Eltern ihre Töchter verstehen und wie machtlos auch April ihrer Krankheit gegenüber steht. Eine Krankheit, deren Auslöser nur ganz kurz und fast am Ende wie nebenbei Erwähnung findet und den Leser umso sprachloser zurücklässt.

Die Geschichte der beiden Schwestern hat mir wirklich sehr gut gefallen. Als besonders gelungen empfand ich die unterschiedlichen Schreibstile der beiden Schwestern: Auf der einen Seite der kindlich-naive Ton von Phoebe und andererseits die viel zu erwachsene Sichtweise von April. Nur manchmal war mir Phoebe in ihrer Direktheit schon hart an der Grenze zum Frechsein. Aber alles wirkte jederzeit authentisch und ich konnte mit den beiden Schwestern sehr gut mitfühlen.