Rezension

Dreihundert Jahre Gechichte

Heimkehren
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 4.5 Sternen

Als 1977 die Serie „Roots“ nach dem gleichnamigen Roman von Alex Haley ausgestrahlt wurde, war ich zwölf Jahre alt. Ich weiß noch, wie tief mich die Geschichte um Kunta Kinta, den im 18. Jahrhundert nach Amerika verschleppten und versklavten Mann aus Gambia, damals erschüttert hat. Das Wissen um das große Leid der Sklaven, die Unfassbarkeit der Sklaverei in Amerika insgesamt und die Nachwirkungen, die sie bis heute hat, die Rassentrennungen, die Emanzipationsbewegungen, der Hass und die fortbestehenden Ungerechtigkeiten, haben mich niemals wieder ganz losgelassen. Immer wieder erschienen dazu auch packende Romane, sei es das Werk der großartigen Toni Morrison, „Die Farbe Lila“ von Alice Walker, „Die bekannte Welt“ von Edward P. Jones.

Vielleicht ist es die unselige Lage in den USA mit ihren aktuellen Entwicklungen, der Polizeigewalt, die immer wieder besonders afroamerikanische Opfer fordert, und ihrem immer offener gezeigten Rassismus in großen Bevölkerungsgruppen, die gerade wieder einige Romane zum Thema Sklaverei hervorbrachte. Besonders prominent ist zum Beispiel von Colson Whitehead „Underground Railroad“, der unlängst auch auf Deutsch erschien und 2016 gleichzeitig den National Book Award und den Pulitzer Prize gewann.

Auch Yaa Gyasis Debütroman „Heimkehren“ war ein großer Erfolg und erhielt einige Preise. Es ein ist für einen Debütroman ehrgeiziges Projekt, denn der Roman umfasst, genau wie einst „Roots“, die Geschichte von sieben Generationen, hier aus Ghana stammender, Menschen und beginnt wie dieser im 18. Jahrhundert, umspannt also einen weiten Bogen. Es ist ein Roman in Geschichten. Jeweils zwei Figuren aus je einer der sieben Generationen stehen dabei im Mittelpunkt. Verbunden sind sie durch die Nachfahren, die diese Figuren zeugen. Das Besondere am Roman ist, dass eben jeweils zwei Vertreter jeder Generation porträtiert werden, da sich die Familie sehr bald in zwei Zweige teilt, die nichts voneinander wissen und sich erst ganz zum Schluss wieder treffen.

Effia und Esi sind quasi die „Urmütter“ der Geschichte, Halbschwestern, die eine von der Haussklavin Maame mit ihrem afrikanischen Herrn gezeugt und von dessen Frau widerwillig großgezogen, die andere nach der Flucht Maames mit einem Stammeshäuptling gezeugt. Es sind die Stämme der Fante und Asante/Ashanti, die sich seit jeher bekriegten und um die Macht an der Goldküste, dem heutigen Ghana kämpften. Und das ist auch das Besondere an Yaa Gyasis Roman, der nämlich die afrikanischen Völker mitverantwortlich macht für den groß aufgezogenen Sklavenhandel mit den Kolonialmächten. Innerhalb der einzelnen Stämme gab es schon lange Sklaven, wurden Menschen bei Raubzügen „erbeutet“, verkauft, getauscht. Mit den Kontakten zu den Briten wurde dieser Handel auf Europa und Amerika ausgeweitet. Asante und Fante wurden zu Menschenräubern und –händlern, die Briten machten mit der Verschiffung der Sklaven den großen Profit. Die Festung Cape Coast an der ghanaischen Küste war ein Zentrum dieses Handels. Ein Besuch Yaa Gyasis in den unterirdischen Verliesen, in denen unzählige Menschen vor ihrer Verschiffung schmachteten, gab ihr die Inspiration zu ihrem Buch. Sie selbst ist als Kind mit den Eltern nach Amerika ausgewandert und in Alabama großgeworden. Alabama, ein Bundesstaat, in dem man den Rassismus noch deutlich spürt. «Wäre ich nicht in Alabama aufgewachsen, hätte ich dieses Buch wohl nie geschrieben. « so die Autorin.

In ihren dichten, intensiven Porträts lässt sie nun die eine Schwester zur „Frau“ eines Briten (der natürlich in der Heimat eine „richtige“ Frau besitzt, hier in Afrika aber den moralischen Schein wahren will, eine anscheinend gängige Praxis) werden, die andere wird als Sklavin in die amerikanischen Südstaaten verschleppt. So gelingt es ihr, die Geschichte sowohl der afrikanischen als auch der amerikanischen Nachfahren zu erzählen. Sie macht das, wie gesagt, in 14 zeitlich chronologischen Abschnitten.

Da ist z.B. Quey, der Sohn von Effia und dem britischen Offizier, der aus der Tradition des Sklavenhandels aussteigt und in den ghanaischen Dschungel flieht; Ness, Esis Tochter, die zusammen mit ihrem Mann und kleinem Sohn von ihrer Plantage, auf der der weiße Herr grausamst wütet, zu fliehen versucht, aber teuer dafür bezahlen muss; ihr entkommener Sohn Kojo wird als Erster ein freier Mann in Birmingham; sein Sohn H wird erfahren, wie brüchig diese Freiheit ist, er wird willkürlich verhaftet und muss jahrelang als Sträfling in den Kohleminen schuften. Das Leiden der Menschen ist auch nach Beendigung der Sklaverei nicht zu Ende. Und Gleichheit gibt es bis heute nicht.

Ein Stammbaum am Ende des Buchs ermöglicht es der Leserin, dem Personenreigen gut zu folgen. Die einzelnen Kapitel sind zudem mit den Namen der einzelnen Protagonisten betitelt. Aus der Figurenfülle ergibt sich allerdings auch ein Problem des Romans. Irgendwann verliert die Reihe ein wenig an Dringlichkeit und der Leser ein wenig das Interesse. Zwar sind die Geschichten intensiv und erschütternd, reihen sich aber ein wenig wie eine Geschichtslektion aneinander. Ereignisse und Themen werden fortgeführt bis in die heutige Zeit, bis zu den Unabhängigkeitsbestrebungen, den Bürgerrechtsbewegungen, Drogen- und Kriminalitätsproblemen in New Yorks Stadtteil Harlem.

„Geschichte ist Geschichtenerzählen“ meint die Autorin und so reicht sie den Erzählstab von Generation zu Generation weiter. Das Ende führt zu einer Begegnung von Marcus und Marjorie in Cape Coast. Es ist fast hoffnungsvoll, beide sind gut ausgebildet, modern, aufgeschlossen und selbstbewusst.

Aber die Vergangenheit ist auch hier nicht vergangen, noch nicht einmal ordentlich aufgearbeitet.

„Warum sollte ein Schwarzer schwimmen wollen? Der Boden des Ozeans sei übersät mit schwarzen Leichen (…) Sein Vater hasste die Weißen abgrundtief. Es war ein Hass wie eine mit Steinen gefüllte Tasche, ein Stein für jedes Jahr, in dem die Ungleichheit weiterhin die Norm in Amerika war. Diese Tasche trug er immer mit sich.“

Damit schlägt die Autorin ihren großen Geschichtsbogen bis in die Gegenwart. Die Wahl Trumps und die Entwicklungen danach waren bei Beendigung des Buches noch nicht abzusehen. Aber umso wichtiger ist diese Beleuchtung der Vergangenheit, dieser Blick tief in die Geschichte der Sklaverei, der Beziehungen zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung.

„Das ist das Problem mit Geschichte. Was wir selbst nicht gehört oder erlebt haben, können wir nicht wissen. Wir müssen uns auf die Berichte anderer verlassen.“

„Wir glauben dem, der die Macht hat. Er darf seine Geschichte schreiben. (Ihr müsst) euch deswegen immer fragen: Wessen Geschichte bekomme ich nicht zu hören?“

Diese Geschichten hörbar zu machen ist Anliegen von Yaa Gyasis gelungenem Roman.