Rezension

Herzensbuch und erzählerisches Meisterwerk

Heimkehren
von Yaa Gyasi

Bewertet mit 5 Sternen

Zukünftiger Klassiker!

Herzensbuch 

Zwischen allen guten und weniger guten Büchern begegnet mir ganz manchmal eines, das sich vollkommen außer Konkurrenz befindet, weil es sich so rundum stimmig liest, dass mir gar nicht einfallen würde, auch nur einen Satz verändern zu wollen. Stattdessen stehe ich einfach staunend davor und bewundere dieses Kunstwerk. Ein solches Buch war Heimkehren für mich. 

Yaa Gyasi ist eine Erzählkünstlerin. Ihre Geschichte beginnt im 18. Jahrhundert an der Goldküste von Ghana, damals Stützpunkt der britischen Kolonialmacht für den Sklavenhandel nach Amerika. Es ist die Geschichte zweier Schwestern und ihrer Nachkommen, die über 250 Jahre hinweg bis in die Gegenwart hinein verfolgt wird. Effia und Esi werden getrennt bevor sie sich kennenlernen können: Esi wartet im Verlies der Festung Cape Coast Castle auf ihre Verschiffung nach Amerika, während Effia ein paar Stockwerke höher die Zweitfrau eines weißen Gouverneurs wird und auf dem afrikanischen Kontinent verbleibt. Yaa Gyasi, die selbst in Ghana geboren und in Amerika aufgewachsen ist, hat der Besuch ebendieser Festung zu ihrem Roman inspiriert. Von hier aus nimmt die Geschichte ihren Lauf und springt in jedem Kapitel eine Generation weiter - eine Geschichte von Unterdrückung, Gefangenschaft, Folter, Zwangsarbeit, Armut, Kriminalisierung und mühsamen sozialen Aufstieg.

Es ist faszinierend wie Yaa Gyasi es geschafft hat, mir in diesen jeweils Kapitel-kurzen Einblicken die Personen so nahe zu bringen, dass ich sie bereits nach den ersten Seiten ins Herz geschlossen habe. Ich konnte mich in jedes Kapitel, in jede neue Lebensgeschichte einfach fallen lassen. Die Ängste, Traumata, Stigmatisierungen werden von Generation zu Generation weitergegeben und es wird ganz deutlich: das ist nicht einfach nur Vergangenheit, das ist bedeutsam, um die Gegenwart zu verstehen. In vielen Szenen tritt die Grausamkeit und deren Absurdität deutlich zu Tage. Die Schicksale haben mich getroffen, erschüttert und immer wieder habe ich mich dabei ertappt, zu hoffen, dass sie fiktional sind - dabei war die Realität mit Sicherheit sogar noch schlimmer. Doch es gibt nicht nur diese brutalen, schmerzenden Momente, sondern auch Szenen unendlicher Zartheit. Und es gibt so vieles, was ich bei dieser Lektüre gelernt habe, Aspekte der Geschichte, die ich so noch nicht beleuchtet gesehen habe. Yaa Gyasi füllt diese Kapitel mit so viel Substanz, ohne dass es je konstruuiert wirkt. Die Geschichte wird untermalt und begleitet von Emotionen, auch ein wenig Pathos und Magie, und das ist bei mir immer ein schmaler Grad, aber hier ist es nicht zu viel, hier ist auch das gerade richtig. Am Ende schließt sich dann der Kreis. Der Kampf um Gleichberechtigung bleibt wesentlich und dennoch lohnt er, denn da ist auch Hoffnung.