Rezension

Sehr schön geschrieben

Die Sehnsucht des Vorlesers
von Jean-Paul Didierlaurent

Guylain Vignolles arbeitet seit Jahren in einer Papierverwertungsfabrik, obwohl er diesen Job hasst und am liebsten jedes Buch vor der Maschine, die er "das Biest" nennt, retten würde. Immerhin gelingt es ihm, täglich ein paar Seiten aufzusammeln, welche er am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit im Zug vorliest.
Davon abgesehen ist Guylains Leben ziemlich monoton, was sich jedoch mit zunehmender Seitenzahl langsam ändert ...

Didierlaurents Schreibstil ist einfach gehalten und daher leicht zu lesen, schließt aber auch mal komplexere Sätze ein und wirkt manchmal fast schon ein wenig märchenhaft, da Guylain beispielsweise die Maschine und seine Kollegen fast ausschließlich in negativem Licht sieht und auch ein, zwei Ereignisse eher unrealistisch als wahrscheinlich sind. Dies mindert den Lesegenuss aus meiner Sicht jedoch nicht, zumal man gelegentlich schmunzeln kann, Spannung vorhanden ist und man beim Lesen problemlos abtauchen kann.
Wie Guylain selbst sind außerdem auch die anderen Charaktere ungewöhnlich, aber mit wenigen Ausnahmen nicht minder sympathisch.
Auch optisch ist das Buch wunderschön: ein zum Inhalt passendes Cover, eine klare Abgrenzung der vom Protagonisten vorgelesenen Texte durch eine dunklere Hintergrundfarbe sowie schöne Schriftarten, die man nicht in jedem Buch findet. Erwähnt werden muss an dieser Stelle jedoch, dass das die ohnehin nicht gerade hohe Seitenzahl aufgrund des großzügigen Zeilenabstandes noch geringer wirkt.
Ferner sollte man sich darauf einstellen, dass Guylain den im Klappentext erwähnten USB-Stick nicht gleich zu Beginn findet und am Ende einige Fragen offen bleiben.
Bei letzterem hatte ich den Eindruck, dass der Autor unter Zeitdruck stand, während er diese Seiten verfasst hat, denn es wirkt etwas lieblos geschrieben. Aus diesem Grund vergebe ich keine vollen fünf Sterne, aber davon abgesehen konnte mich "Die Sehnsucht des Vorlesers" voll überzeugen.

Ich kann das Buch jedem empfehlen, der ungewöhnliche Protagonisten mag, gern Bücher liest, in denen Bücher eine nicht unbedeutende Rolle spielen, und sich nicht an offenen Fragen stört.