Rezension

Dystopische Gesellschaftssatire

Blue Skies
von T.C. Boyle

Bewertet mit 4 Sternen

Blauer Himmel ist schön? Das war gestern. In Kalifornien hat es seit 4 Jahren nicht geregnet, Florida dagegen ertrinkt im Starkregen und Stürme sind mittlerweile völlig unberechenbar. Das ist die Situation in den USA, in der Boyle uns mit Ottilie und Frank und ihren Kindern Cooper und Catherine (Cat) bekannt macht. Ein dystopisches Setting für eine bissige, fast zynische Gesellschaftssatire mit rabenschwarzem Humor.

Cat sind das Klima und die Natur im Grunde egal. Sie hat vor dem Schaufenster einer Reptilienhandlung eine Eingebung – eine Schlange würde sie einzigartig in der Influencer Scene machen, der sie so gerne angehören würde. Es gibt verschiedene Hinweise darauf, dass eine Königspython als Haustier keine gute Idee ist, vor allem, wenn man wie sie ein Alkoholproblem hat, aber Cat ignoriert sie alle. Sie und ihr Mann Todd, der beruflich als „Bacardi-Botschafter“ um die Welt jettet und Partys veranstaltet, stehen für die vielen oberflächlichen Menschen, deren Maßstab nur ihr eigenes Wohlergehen ist. In Cats Fall hat dieser Hedonismus einen exorbitanten Preis – der Kauf der Schlange stößt ein Drama an, das die ganze Familie erschüttern wird.

Cats Bruder Cooper ist Entomologe aus Leidenschaft und der einzige in der Familie, der die Dramatik des Klimageschehens voll zu durchdringen scheint. Aber auch er ist kein Held, sondern ein selbstgerechter Langweiler.  In der Schule einst ein verachteter Nerd mit dem Spitznamen „Bug Boy“, dient ihm nun sein Engagement dazu, seine moralische Überlegenheit zu beweisen. Die Natur vergilt ihm seine Unaufrichtigkeit – typisch für die Boylesche Ironie - mit einem Zeckenbiss, der ihn fast das Leben kostet.

Die Sympathieträgerin des Romans ist die Mutter Ottilie, die ihr Bestes tut, um sich klimafreundlich zu verhalten. Aber es gelingt ihr nicht. „ … Sake war ihr liebstes Getränk, weil der Rauch der Buschbrände den Reis, aus dem er hergestellt wurde, nicht beeinträchtigte. Allerdings erwähnte niemand, wie intensiv Reis bewässert werden musste.“ Durch sie bekommen wir die absurde Übermacht bürgerlicher Codes vorgeführt. Ottilie kann Nahrung nicht ohne Genuss denken, selbst wenn es mittlerweile darum geht, Milliarden Menschen vor dem Hungertod in einer kollabierenden Umwelt zu retten. „Blue Skies“ zeigt: Wir haben immer noch die falschen Kriterien. Wir wissen das  – und ignorieren es.

Die Dramaturgie des Romans ist denkbar krass – alle versuchen, mit der „neuen Normalität“ zurecht zu kommen. Aber was sie auch unternehmen, „die Natur beisst zurück“, und zwar immer überraschend und viel drastischer als erwartet. Immer, wenn eine der Figuren glaubt, es kann nicht schlimmer kommen – dann kommt es schlimmer. Aber trotz dramatischer Ereignisse in der Handlung fühlt sich deren Fortschritt eher träge an – vielleicht weil Boyles ebenso meisterhafte wie distanziert-ironische Charakterzeichnung die Leserin auf Abstand zu seinen Figuren hält.

Im letzten Viertel des Romans zerbröselt unter dem Druck der Umweltveränderungen auch die Infrastruktur. Dennoch hat das Ende einen verhalten optimistischen Touch – ob es hierfür Grund gibt oder das schlicht der unbelehrbaren Natur des Menschen geschuldet ist, bleibt offen. Werden am Ende die Illusionen, die wir offenbar brauchen, um psychisch zu überleben, zu unserem physischen Untergang führen?

Boyles Roman liefert keine Lösungsvorschläge, auch wenn er einen asiatischen Milliardär einen unautorisierten Klimarettungsversuch unternehmen lässt. Er führt uns vor, was er sieht und überlässt die Schlussfolgerungen seinen Leser:innen. Das macht er gewohnt virtuos und sachkundig – alle Szenarien des Romans, auch die krassesten, sind schlüssig und zeitnah denkbar. Zwar zählt „Blue Skies“ aus meiner Sicht nicht zu Boyles packendsten Romanen; dennoch lohnt sich die Lektüre allemal.