Rezension

Fantastisch

Wen der Rabe ruft - Maggie Stiefvater

Wen der Rabe ruft
von Maggie Stiefvater

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt
Jedes Jahr im April empfangen Blue und ihre Familie die Seelen derer, die bald sterben werden. Blue, die als Einzige nicht über die Fähigkeit zum Wahrsagen verfügt, konnte die Seelen bisher nur spüren, aber zu Gesicht hat sie sie nie bekommen. Doch dieses Jahr ist das anders: Plötzlich taucht vor ihren Augen der Geist eines Jungen in der Dunkelheit auf dem Kirchhof auf. Sein Erscheinen kann nur eins bedeuten: Blue ist diejenige, die für seinen baldigen Tod verantwortlich ist. Denn schon seit ihrer Kindheit weiß sie, dass sie mit einem Kuss ihre große Liebe umbringen wird. Deshalb hat sie bisher um Jungs einen großen Bogen gemacht. Was bisher problemlos funktioniert hat, wird nun eine echte Herausforderung: Gleich vier Jungs treten in ihr Leben - und einem von ihnen wird diese Bekanntschaft zum Verhängnis werden.

Meinung
Ich bin sehr lange um diesen Roman herumgeschlichen, was vor allem daran lag, dass die Inhaltsangabe nach einer schnulzigen Liebesgeschichte à la Romeo und Julia klang, nach einer tragischen Liebe, die nicht sein darf. Zu meiner großen Überraschung und Erleichterung ging es in diesem Reihenauftakt aber doch weitaus weniger romantisch und melodramatisch zu, als ich vermutet hatte. Natürlich wird Blues Prophezeiung, sie würde mit ihrem Kuss ihre große Liebe töten, immer wieder thematisiert - schließlich ist das der Aufhänger der Story. Eine leidende Protagonistin wird man hier aber nicht antreffen, auch wenn die ein oder andere pubertäre Hormonschwankung natürlich nicht ausbleibt. Blue ist (vor allem für jemanden aus einer Wahrsagerfamilie) ein äußerst bodenständiges Mädchen, mit klaren Prinzipien, sarkastischen Sprüchen und keinerlei Scheu davor, sich die Hände schmutzig zu machen. Damit hat sie die Jungs ziemlich gut im Griff, auch wenn sie sich innerlich gelegentlich unsicher fühlt. Ihre Ausstrahlung macht sie tatsächlich zu dem  (Zitat) "Starbucks-Tisch, an dem alle sitzen wollen" - auch die vier Raven-Jungs. Bis ich jedoch in den Genuss gekommen bin, das Quintett gemeinsam in Aktion zu erleben, hat es ein wenig gedauert. Allerdings mochte ich es, dass sich die Autorin Zeit genommen hat, erst die einzelnen Parteien (die Raven Boys einerseits, Blue und ihre Familie andererseits) unabhängig voneinander einzuführen und sie nicht schon auf den ersten Seiten miteinander zu konfrontieren. Dadurch hat sich die Story zwar etwas langsamer entfaltet, aber man konnte sich erstmal einen guten Überblick verschaffen und das spätere Verhalten der Charaktere im Einzelnen und in der Gruppe hat mehr Sinn gemacht, weil man ihre Macken, Denkweisen und im Groben auch ihre Hintergründe kannte. Alle sind etwas verschroben, ihre Wesen sind jedoch vollkommen unterschiedlich. Das hatte den Vorteil, dass für jede (Leser-)Vorliebe etwas dabei ist. Wie gesagt, Blue fand ich super, auch dem integeren Adam, dem großherzigen, aber etwas manischen Gansey und selbst dem unnahbaren Ronan konnte ich viel abgewinnen. Lediglich Noah konnte ich lange Zeit nicht ganz einordnen, da er mit Abstand die wenigsten Auftritte hatte und daher einige Fragen aufgeworfen. Ich hatte in der Beziehung die richtige Vermutung.

Abgesehen davon war die Geschichte jeoch gespickt mit Überraschungen. Die Handlung war weitaus komplexer als vermutet, weil die unausweichliche Liebesgeschichte weitgehend von der anspruchsvollen Suche nach den magischen Ley-Linien und dem Grab von Glendower verdrängt wird. Das verleiht dem Geschehen deutlich mehr Spannung und Abwechslung und ich für meinen Teil habe mich bestens unterhalten gefühlt.
Auch von Stiefvaters Schreibstil bin ich durchweg begeistert. Sie findet immer die richtigen Worte und passt ihr Tempo und ihren Ton (mal blumig, mal nüchtern) der jeweiligen Situation an. Durch kleine, fast beiläufig eingestreute Details zu den Figuren werden diese außerdem viel greifbarer und plastischer.

Fazit
Zu meiner großen Erleichterung war der Auftakt der Reihe alles andere als eine pubertäre Liebesgeschichte mit Seifenoper-Charme, sondern konzentriert sich auf eine gut recherchierte, durchdachte, mystische Spurensuche mit kontrastreichen Charakteren, die durch Maggie Stiefvater wunderbar erzählt wird. Ich bin gespannt, wie die Autorin den Handlungsstrang weiterstricken wird.

Rezension auf Buntes Tintenfässchen