Rezension

Gut, besser, Stiefvater!

Wen der Rabe ruft - Maggie Stiefvater

Wen der Rabe ruft
von Maggie Stiefvater

Bewertet mit 5 Sternen

Maggie Stiefvater hat es bisher mit jedem ihrer Bücher bisher geschafft, mich vom Prolog bis zum Nachwort mit ihren besonderen, wenn auch melancholischen Worten, zu begeistern. Ihre Bücher miteinander vergleichen müssen, würde mir sehr schwer fallen, denn Maggie Stiefvater ist in ihrem Stil so wandelbar und auch ihre Ideen sind abwechslungsreich. In einem bin ich mir sicher: Sie wird mich mit jedem ihrer außergewöhnlichen Ideen einfangen und bezaubern können.
Als ich auf Stiefvaters englischer Homepage von ihrer neuen 4-teiligen Reihe „The Raven Boys“ las, konnte ich es kaum erwarten, dass sie vom Script5 Verlag übersetzt wird. Nach fast einem Jahr ungeduldigen Wartens durfte ich jetzt endlich „Wen der Rabe ruft“ lesen und mich wieder einmal in eine faszinierende Welt entführen lassen.

Für Blue ist es nicht leicht, in einer Familie zu leben, in der es fast keine Geheimnisse gibt. Ihre Mutter und auch ihre Tanten sind mit einigen Fähigkeiten beschenkt worden, die es ihnen ermöglichen, Ereignisse aus der Zukunft zu sehen. Mit Weissagungen verdienen sie ihren Lebensunterhalt und auch Blue wird nicht von ihnen verschont. Seit Blue sich erinnern kann, wird sie wieder und wieder mit einer Prophezeiung konfrontiert: Ihre wahre Liebe wird durch einen Kuss von ihr getötet werden. Blue beschließt, sich nie zu verlieben und sich lieber mit anderen Dingen und ihrer Familie abzulenken. Bis jetzt hat es auch immer gut funktioniert. Ihre Familie ist davon überzeugt, dass auch Blue besondere Fähigkeiten besitzt und bezieht sie immer wieder mit in ihre Arbeit ein. Sei sie auch noch so ungewöhnlich. Wie jedes Jahr am Markustag soll Blue auf einem verwitterten Kirchhof die Seelen derer empfangen, die bald sterben werden. In diesem Jahr ist etwas anders: Bisher konnte sie die Seelen nur spüren und nie wirklich sehen. Nun taucht plötzlich die geisterhafte Gestalt eines Jungen vor ihr auf und als Blue ihn sieht, wird ihr klar, dass ihre beiden Schicksale tief miteinander verbunden sind.

Wer Maggie Stiefvaters Geschichten kennt, weiß, dass sich hinter den kleinen Einblicken durch die Inhaltsangaben sagenhafte Ideen in einer dichten Handlung und einer sehr atmosphärischen Stimmung verstecken, die sich mit wenigen Worten wohl kaum erklären lassen. Man beginnt mit der ersten Seite und wird bis zum Schluss gefangen genommen und von einer sehr eindringlichen Empfindung eingehüllt, die sofort wieder aufkommt, wenn man auch nach dem Lesen an Stiefvaters Geschichte denkt. Maggie Stiefvater schreibt Bücher, die man kaum mit anderen aus dem Jugendbuch Genre vergleichen kann. Während sich viele Autoren der reinen Unterhaltung widmen und sich mehr auf einen komplexen und spannenden Plot - wobei vieles für den Leser leicht durchschaubar ist - konzentrieren, baut Stiefvater ihre besondere Geschichte „Wen der Rabe ruft“ anders auf. Ihr Schwerpunkt liegt deutlich auf der Psychologie ihrer sehr widersprüchlichen Charaktere. Man muss sie ergründen und viele ihrer Taten interpretieren, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Mir hat es manchmal großes Kopfzerbrechen aber auch großen Spaß bereitet, alle Charaktere zu erfassen und zu begreifen. Viele Theorien mussten aufgestellt werden um später wieder verworfen zu werden. Selbst am Schluss blieben einige Fragen offen, die mich nur neugieriger auf weitere Teile machten. Obwohl es mir sehr schwerfiel, mich von den sehr lieb gewonnenen Protagonisten zu trennen. Mit der Handlung ist es ähnlich, denn auch diese lässt sich nur schwer erahnen. Auch wenn „Wen der Rabe ruft“ viele ruhige Momente hat, in denen der Leser die Protagonisten und ihre Eigenarten kennenlernt, wird es nie zu langatmig. Ihnen folgen viele überraschende, spannungsgeladene und mysteriöse Szenen. Untermalt wird die Handlung von einer Liebesgeschichte, die nicht zu sehr in den Vordergrund rückt, denn sie wird nur angedeutet und nicht klar gezeichnet. Am meisten fasziniert mich jedoch der minimale Aufwand, den die Autorin betreibt. Sie setzt keine imposanten magischen oder überdrehten phantastischen Elemente ein und erschafft trotzdem eine mystische Szenerie, die dem Leser eine Gänsehaut nach der nächsten beschert. Es bleibt trotz allem nachvollziehbar und realistisch.

„Wen der Rabe ruft“ von Maggie Stiefvater ist ein sehr gelungener Auftakt zu einer mysteriösen Reihe, die man mit keiner anderen vergleichen kann. Wer ein Abenteuer abseits der normalen und vorhersehbaren Unterhaltungsliteratur sucht, ist hier bestens beraten.