Rezension

Menschliche Ersatzteillager

Die Lebenden und die Toten
von Nele Neuhaus

Bewertet mit 4 Sternen

"Die Lebenden und die Toten" von Nele Neuhaus ist der 7. Fall für Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein. Es hätte für Kriminalhauptkommissarin Pia Kirchhoff alles so schön werden können. Vier Wochen Urlaub waren geplant. Sie hatte Christoph Sander, den Direktor des Opel-Zoos heimlich, still und leise vor ein paar Tagen geheiratet. Ihr Chef, Oliver von Bodenstein, bringt mit seinem Anruf ihre Reisevorbereitungen durcheinander. Er ist mit einer anderen Sache beschäftigt. Sein Team vom K11 aus Hofheim ist durch Krankheit zweier Kollegen und den Urlaub von Cem Altunay unterbesetzt. Pia soll sich nur kurz am Tatort einen Überblick verschaffen, bevor Bodenstein übernehmen kann. Eine Frau wurde mit einem Kopfschuss am helllichten Tag in Niederhöchstadt aus einiger Entfernung erschossen. Wie sich später herausstellt ist das Opfer Ingeborg Rohleder. Eine nette ältere Dame, die ihr Leben lang im familieneigenen Blumengeschäft gearbeitet hat. Es gibt keine Spuren, keine Zeugen, kein Motiv. Zur Verstärkung des Teams wird der erfahrene Fallanalytiker, Kriminalhauptkommissar Andreas Neff, der eine Weile in den USA gearbeitet hat, vom LKA abgeordnet. Doch seine Anwesenheit bringt Unruhe in das Team. Wenig später geschieht in Oberursel ein zweiter Mord. Die Ehefrau des angesehenen Professors Dieter Rudolf wird durch das Fenster in ihrer Küche mit derselben Waffe wie Ingeborg Rohleder getötet. Beide Frauen hatten keine Feinde und standen in keiner Beziehung zueinander. Nach ersten Erkenntnissen ist klar, dass beide keine Zufallsopfer sein können. Wenig später geht in der Polizeistation Eschborn eine Todesanzeige ein, die ein selbst ernannter Richter verfasst hat: "In Memoriam Ingeborg Rohleder. Ingeborg Rohleder musste sterben, weil sich ihre Tochter der unterlassenen Hilfeleistung und Beihilfe zur fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat." (S. 101) Auch in der Polizeistation in Oberursel geht ein ähnlicher anonymer Brief ein. Darin steht, dass sich der Ehemann des Mordes aus Habgier und Eitelkeit schuldig gemacht hat. Er ist seit mehr als zwanzig Jahren in der Transplantationschirurgie tätig. Die Opfer haben sich nicht schuldig gemacht, sondern deren Angehörige. Der Richter, dem der Leser über die Schulter schauen kann und dessen Planungen er hautnah verfolgt, hat das nächste Opfer und seine Lebensumstände schon ausgespäht. Er erschießt den 27 Jahre alte Maximilian Gehrke vor dem Haus seines Vaters. Nur rein zufällig können die Ermittler eine erste Verbindung zwischen den drei Opfern herstellen. Sie brauchen sehr lange um herauszufinden wie die Morde zusammenhängen. Dass sie zusammenhängen, wird ihnen jedoch schnell klar.

"Die Lebenden und die Toten" von Nele Neuhaus ist ein packend geschriebener Kriminalroman mit viel Lokalkolorit, aber leider einigen Längen. Um hundertfünfzig Seiten kürzer und mit weniger detaillierter Darstellung der Ermittlungen wäre der Roman noch besser geworden. Es geht um Organtransplantationen und die Folgen für die Angehörigen. Die Autorin verliert sich nicht in vielen Nebenschauplätzen oder thematisiert zu ausführlich das Privatleben von Pia Kirchhoff und Oliver von Bodenstein, wie der Leser das aus ihren ersten Romanen kennt. Sie weiß fesselnd zu erzählen, konstruiert einen geschickt aufgebauten Plot und legt vielfach falsche Fährten. Der Täter hetzt die Polizei regelrecht vor sich her, weil alles auch sehr schnell passiert. Interessant ist auch, dass erstmals neben einem Profiler eine forensische Psychologin in das Ermittlerteam kommt. Dr. Katharina Freitag, die kleinere Schwester von Pia, ist über die Weihnachtsfeiertage zu Besuch und steht dem Team hilfreich zur Seite. Die Autorin hat einen interessanten Roman geschrieben, der den Leser nachdenklich zurücklässt.