Rezension

Sehr enttäuschend.

The other Girl - Maggie Mitchell

The other Girl
von Maggie Mitchell

Bewertet mit 1 Sternen

Carly May ist 12 Jahre alt, als sie ohne zu zögern in das graue Auto eines Fremden steigt. Er wirkt vertauens- und ein bisschen geheimnisvoll, ist gutaussehend, verströmt ein Gefühl von Sicherheit und lächelt so, dass sie das Gefühl gewinnt, sie sei der für ihn einzig wichtige Mensch auf der Welt. Für das hübsche Mädchen verspricht die Autofahrt raus aus ihrer Heimat Arrow, Nebraska ein großer Spaß - ein großes Abenteuer - zu werden. Da sie es schon seit jeher liebt, sich zu verkleiden, spielt sie auch gerne mit, als der Mann ihr eine braune Perücke gibt und sie so in eine neue Rolle schlüpfen kann. Hinfort mit dem Lipgloss und dem hellrosafarbenen Lidschatten - unliebsame Überreste des Ballettunterrichts - und schon kann die Reise ins Unbekannte weitergehen.
Beim nächsten Zwischenstopp locken die beiden ein zweites Mädchen in den Wagen: Die ebenfalls zwölfjährige Lois. Lois steigt ein, da der Mann und das Mädchen so glücklich aussehen, als wäre bei ihnen alles harmonisch. Außerdem ist seine Stimme so sanft, volltönend, höflich, aber mit einem humorvollem Unterton. Und da die beiden nach dem Weg zur Schule fragen, sich diese in der Nähe ihres Zuhauses befindet und es soweiso regnet, setzt sie sich auf die Hinterbank. Als sie jedoch bevor sie diese erreichen auf eine stadtauswärtsführende Nebenstraße abbiegen, traut Lois sich nicht, etwas zu sagen. Auch für sie ist die Fahrt ins neue Fremde etwas Aufregendes - sie hatte unzählige Male davon geträumt fortzugehen.
Denn das ist etwas, das die beiden Mädchen verbindet: Zuhause waren sie nicht zuhause. Carly Mays Vater hatte nach dem Tod von Carlys Mutter eine unnötig aufgetakelte und furchtbar nervige Frau geheiratet, die Carly May schon bei ihrer ersten Begegnung, nachdem sie ihm bereits das Jawort gegeben hatte und sowieso alles zu spät war, mit "Püppchen" anredete. Und Lois Eltern hatten keine Zeit für ihre Tochter, da sie vollauf mit den in ihrem Hotel anfallenden Arbeiten beschäftigt waren, da weitere Hilfskräfte zu teuer gewesen wären.
Eine weitere Gemeinsamkeit der beiden Kinder war, dass sie sich in irgendeiner Weise zur Schau stellten: Carly May verhielt sich so, indem sie zu Miss-Wahlen ging und mit aufgesetztem Lächeln, lockerem Hüftschwung und ihren wippenden goldenen Locken Titel gewann. Lois Art der Selbstinszenierung bestand darin, an Buchstabierwettbewerben teilzunehmen, wobei sie mit Wörtern umging, deren Bedeutung sie nicht im Ansatz kannte - kennen konnte.
Diese Gemeinsamkeiten kamen nicht von ungefähr: Irgendwann entdeckte Carly May zwei Akten mit Fotografien, Notizen und Zeitungsausschnitten zu den beiden Kindern. Gestärkt durch das Gefühl von dem Mann auserwählt worden zu sein, blühten sie mit der Zeit auf.
Nach langer Fahrzeit kamen sie schließlich an einer Hütte irgendwo im Wald an, in der sie die nächsten zwei Monate verbringen würden. Der Entführer, den die Mädchen später Zed nannten, fasste sie nie an, tat ihnen auch sonst nichts zuleide - für die Kinder unverständlich. Sie hatten das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben.
Doch auch als sie von der Polizei gefunden wurden und Zed sich erschossen hatte, konnten sie nicht in ihr altes Leben zurückkehren. Alle waren irgendwie seltsam, hatten sie für tot gehalten - jeder kannte sie. Und niemand verstand, warum sie nie weggelaufen waren und er ihnen nie etwas angetan hatte.

Zwanzig Jahre später haben sich Lois und Carly May, die nun Chloe heißt, gänzlich aus den Augen verloren. Lois ist Professorin für Literatur, Chloe arbeitet als Schauspielerin. In einem Roman "Der Wald so still" verarbeitet Lois ihre Erlebnisse unter dem Pseudonym Lucy Ledger. Als dieser verfilmt werden soll bekommt Chloe die Rolle einer Polizistin in der Produktion angeboten und nimmt an. Nach so vielen Jahren werden sich Lois und Chloe wiedersehen - oder wie der Klappentext verspricht: "Ihre Geschichte ist noch nicht vorbei". Außerdem wird Lois von einem Studenten belästigt, der in ihrer Vergangenheit wühlt und droht ihre Identität als Autorin und ihre Geschichte auffliegen zu lassen.

Die Geschichte wechselt andauernd zwischen den Perspektiven - mal erzählt Chloe etwas aus ihrer Sicht, mal beschreibt Lois ihre Erlebnisse. Aber auch zeitlich jagt ein Sprung den nächsten. Leider bekommt man so schnell gar nicht mit, was wann passiert, welche Handlung vorangegangen ist und wieso das Erzählte überhaupt von Bedeutung sein soll.
Für mich war der Schreibstil auch unfassend zäh, sodass ich beim Lesen kaum weiter kam. Da mir auch die Charaktere des Buches allesamt unsympathisch waren, kostete es mich viel Überwindung, das Buch nicht vorzeitig abzubrechen. Da wäre zum Beispiel Chloe mit ihrer "Ich bin ja so toll, aber das ist einfach so - dann darf ich das ja wohl auch sagen dürfen"-Art und ihrer abschätzenden Art gegenüber allem und jedem, die mit ihrer umwerfenden Schönheit ja alle bezaubern kann. Oder Lois, die sich immer wenn sie wütend, traurig, nervös, glücklich oder sonst irgendwie emotional angesprochen ist , ein zu der Situation passendes Wort aussucht, um Wörter mit dem gleichen Anfangsbuchstaben zu buchstabieren - das ist wohl eine Angewohnheit aus Kindertagen, als sie noch zu den Wettbewerben ging. "Furcht: Fauteuil, Filibuster, Faszie, flamboyant." (S. 107) oder eine - wie ich finde auch sehr repräsentative Stelle - "Unzurechnungsfähig: Uakari, Ubiquist, Undezime, Unguentum, Uschebti, Ususfruktus, Ud, urnisch, Utrum, Uchi-Mata, ultramarin." (S. 237). Es ist ja schön, wenn dieser Charakter im Buch Sprache mag, Wörter sammelt oder irgend sowas. Aber bei jeder sich bietenden Gelegenheit vollkommen aus dem Zusammenhang gerissene Aneinanderreihungen von Wörtern einzuschieben, hat damit meines Erachtens nicht viel zu tun. Für mich waren diese Stellen sehr ermüdend...
Des Weiteren hatte ich mit einem Psychothriller gerechnet, denn so wurde das Buch auch angekündigt. Als ich das Buch jedoch in Händen hielt, fiel mir zunächst nicht auf, dass das Cover etwas abgeändert worden ist. Als ich auf Seite 111 angekommen war und mich darüber wunderte, dass eigentlich noch nichts passiert und gar keine Spannung aufgebaut worden war, bemerkte ich, dass auf dem Cover anstelle von "Psychothriller" nun "Roman" stand. Dennoch hatte ich noch die Hoffnung das auf den restlichen Seiten des Buches noch irgendetwas geschehen würde. Oder man immerhin noch etwas über die Entführung erfahren würde. Doch blieben hier - wie auch in den meisten anderen angerissenen Bereichen - zahlreiche Fragen offen. Auch bei ganz grundlegenden Themen...
Ich habe andauernd mit mir gekämpft, ob ich das Buch nun besser abbrechen sollte, wollte ihm aber doch noch eine Chance geben. Im Nachhinein wäre es wohl doch besser gewesen, die Lesezeit auf ansprechende Bücher zu verwenden.

Alles in allem bin ich von diesem Werk sehr enttäuscht, hatte ich doch ein Buch voller Spannung erwartet. Für mich gibt es nur einen einigermaßen zu lobenden Aspekt: Die Geschichte, wie sie auf dem Klappentext beschrieben wird, ist ansprechend, klingt spannend und verspricht viel. Schade, dass das Buch da nicht mithalten konnte.
Selten bin ich von einem Buch derartig enttäuscht worden.