Rezension

Ein Mahnmal gegen das Vergessen

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 4 Sternen

„Ich möchte Ihnen gerne eine unglaubliche Geschichte erzählen. Eigentlich keine Geschichte, sondern eine Biographie der Angst. Ich möchte Ihnen erzählen, wie das Grauen einen Menschen unvermittelt packt und sein ganzes Leben verändert.“ (S. 15)

 

Damit beginnt für den Protagonisten und uns Leser eine Reise zu eine der zahlreichen düsteren Episoden der sowjetischen Geschichte.

Die Ausgangssituation ist, dass Alex, unser alleinerziehender und verwitweter Protagonist, in ein neues Land und somit eine neue Wohnung zieht, in welcher er auf die an Alzheimer leidende Tatjana trifft und sich kurzerhand ihre Lebensgeschichte erzählen lässt.

Alex‘ Geschichte ist sehr kurz abgehandelt und im Grunde nicht wichtig für die eigentliche Geschichte, außer dass er ein anfangs eher unfreiwilliger Zuhörer ist und wir durch ihn Tatjanas Biographie erleben.

Tatjana, und das wird im Laufe immer klarer, ist eine sehr interessante Figur, die vorallem düstere Facetten eines ehemaligen Terrorregimes enthüllt, welches ohne dieses Wissen schon unvorstellbar grauenvoll war. Filipenko hält sich dabei nicht großartig mit Nebenhandlungen und unnötigen Beschreibungen auf, sondern kommt direkt zum Punkt. Der Stil ist sehr einfach gehalten und fordert den Leser nicht unbedingt heraus. Um ein Gefühl für die Schrecken jener Zeit zu transportieren, braucht er das aber auch nicht. Tatjanas Leben wird kurz und unverblümt abgehandelt, verliert aber keinesfalls an Intensität.

Die größte Grausamkeit ist dabei die Erkenntnis einer sowjetischen Bürgerin zur Zeit des Krieges, dass ihr Staat nichts für seine Leute übrig hat; sie im Gegenteil nur zu Kriegszwecken verheizt und zu einer hörigen Masse formt. Tatjana erlebt dies hautnah, als sie mitbekommt, dass sowjetische Kriegsgefangene in anderen Ländern als Deserteure verschrien werden; Spione, die sich dem Feind ergeben haben und nicht zu ihrem Land stehen. Gleiches gilt für die Angehörigen der in Kriegsgefangenschaft befindlichen Männer. Innerhalb des Buches wird klar, woher diese krude Vorstellung kommt: Ein linientreuer Sowjet würde sich laut Stalin eher selbst erschießen, als gefangen nehmen zu lassen.

„Stalins Experiment war geglückt – gefangen war der Mensch nicht länger in einem Anstaltsgebäude, sondern in seinem eigenen Schicksal.“ (S. 229)

Tatjana selber landet irgendwann im Arbeitslager, das Schicksal ihres Mannes ungewiss, ihre Tochter in einem sowjetischen Umerziehungsheim. Sie hat den festen Glauben, dass Gott sich vor ihr und ihren Erinnerungen fürchtet, weshalb er sie im Alter mit Alzheimer bestraft.

Alles in Allem kann ich das Buch durchaus empfehlen, es ist vielleicht nicht so literarisch wie viele andere Werke aus dem diogenes Verlag, aber es ist ein Mahnmal gegen das Vergessen und lässt Szenen und Geschehnisse aufleben, die im Gedächtnis bleiben.