Rezension

Dranbleiben lohnt sich!

Milchmann - Anna Burns

Milchmann
von Anna Burns

Bewertet mit 4 Sternen

„Damals, als ich achtzehn war, lauteten die Grundregeln in der permanent alarmbereiten Gesellschaft, in der ich aufgewachsen war: Wenn keine körperliche Gewalt ausgeübt und man nicht direkt verbal beleidigt worden war und keiner in der Nähe blöd guckte, dann war auch nichts passiert. Wie also konnte man Opfer von etwas sein, das es gar nicht gab?“

Ein deutlich älterer verheirateter Mann stellt einer jungen Frau nach und doch schauen alle nur auf sie. 

Bei Milchmann ist nicht nur der Titel, sondern auch die Art der Erzählung ungewöhnlich: Keine der Figuren trägt einen Namen & der Ort wird nicht genannt. Stattdessen begegnen wir Milchmann – nicht zu verwechseln mit Echter Milchmann –, erfahren etwas über Schwager Eins bis Drei, bekommen von Älteste Freundin gutgemeinte Ratschläge und besuchen Vielleicht-Freund. 

Ich habe einige Seiten gebraucht, um mich an die Namenslosigkeit zu gewöhnen, empfinde es rückblickend aber sehr passend: Ständig wird be- und verurteilt, es gibt nur „wir“ oder „die“, andere Gedanken haben keinen Platz. Alles bleibt austauschbar. Irritationen werden als Schwachsinn abgetan & die Personen gesellschaftlich ausgeschlossen. 

„Er war bei der Arbeit von einer Autobombe in den Tod gerissen worden, weil er die falsche Religion am falschen Ort gehabt hatte, so was kam vor.“ 

Und dann wäre da noch die Gewalt und die Willkür, die für die Erzählerin zum Alltag gehören, mich in ihrer Selbstverständlichkeit hingegen nicht nur einmal aus der Bahn geworfen haben. 

Die Einblicke, wie die Gemeinschaft tickt, wo Grenzen gezogen werden (oder auch nicht), wie sich die Gerüchte weiterverbreiten und ein Eigenleben entwickeln sowie die eindringliche Schilderungen der Protagonistin, wie sie zunehmend in die Isolation getrieben wird, obwohl sie so dringend Solidarität bräuchte, haben mich sehr bewegt. 

Insgesamt ein besonderes Buch, das Konzentration fordert und nicht ohne Ausschweifungen auskommt, sich aber sehr lohnt. 

Meine Empfehlung: Gemeinsam lesen! Die verschiedenen Interpretationen & der Austausch zum Nordirlandkonflikt (namentlich nicht genannt, aber stets präsent) waren für mich Gold wert.

Die Übersetzung stammt von Anna-Nina Kroll.