Rezension

Innovativ wie schwierig

Milchmann - Anna Burns

Milchmann
von Anna Burns

Bewertet mit 3 Sternen

„Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.“

Wenn ich ein Buch mit dem vorangestellten Zitat bewerbe, muss mir klar sein, dass ich beim potentiellen Leser gewisse Erwartungen wecke. Waffen, Schimpfwörter, Drohungen, Tod! Da wird viel geboten in einem kurzen Satz! Ich erwarte Spannung, Verwicklungen, Dramatik, ja einen gewissen Anteil Action. Nur ist das weit von dem entfernt, was dieser Roman bieten kann und bieten möchte.

Aber erst einmal zum tatsächlichen Inhalt: Wir folgen einer jungen Frau, wahrscheinlich einer Nordirin, die mit vielen alltäglichen Widrigkeiten zu kämpfen hat, die für sie gänzlich zur Normalität geworden sind: Man muss darauf achten was man sagt, mit wem man spricht und wie man sich benimmt. Hierarchien, Verlust, absurde Regeln und Misstrauen bestimmen ihren Alltag. Davor verschließt sie sich, lenkt sich mit alten Romanen und Sport ab und beginnt immer weniger zu fühlen.

Ich hätte während des Lesens furchtbar gerne etwas über den Nordirlandkonflikt gelernt, den die Autorin hier als Hintergrund für ihre Geschichte wählt. Leider weiß ich darüber so gut wie gar nichts und bin auch nach Beenden des Buches kein bisschen klüger. Zwar bietet Burns anhand ihrer Hauptfigur einen sehr persönlichen Einblick in die täglichen Absurditäten und die Gewalt, mit denen die Menschen während des Konflikts zu kämpfen haben. Aber praktisch werden kein Ort, keine Zeit und keinerlei Hintergrund der Konflikte genannt.

Gut gefallen hat mir allerdings die Beschreibung, die unsere junge Erzählerin für ihre vagen Gefühle findet. Sie merkt, etwas ist nicht richtig, sie fühlt sich bedrängt. Aber in ihrer Gesellschaft existieren keine Worte dafür. Niemand hat sie geschlagen oder auch nur berührt. Niemand hat ihr explizit gedroht. Kann bloße Anwesenheit übergriffig sein? Ist ihr Gefühl, ihre Angst falsch, nur weil sie sich nicht erklären lässt? Das und auch die körperlichen Auswirkungen, die dieser Stress und die Sprachlosigkeit mitbringen waren einfach genial beschrieben.

Auch wenn Anna Bruns ihren Humor hat durchblitzen lassen, hat das lesen Spaß gemacht. Und für mich waren die Namen wie „Milchmann“, „echter Milchmann“, „kleine Schwestern“, „beste Freundin“ etc. in ihrer fast naiven Einfachheit sehr reizvoll. Aber dann hat mich wieder irritiert, dass der Ton gerade am Ende fast ausschließlich ins witzige fällt. Und es war auch wirklich lustig, aber für mich persönlich kein angemessener Abschluss - zu happy-happy für die insgesamt eher düstere Geschichte. Dazu kommen die vielen Bruchstücke, die nicht recht zusammenfinden wollen: Die Themenfrauen, die Hunde, Tablettenmädchen, Vielleicht-Freund, die Brüder, Milchmann. Wollte ich erfahren, wie es im Leben unserer Erzählerin weitergeht, holte sie aus und schilderte etwas über ihre Familie, eine Begebenheit aus der Vergangenheit oder über Personen aus ihrer Gemeinschaft. Ich hatte gehofft, all das läuft am Ende irgendwie sinnvoll zusammen. Tut es aber nicht.

Milchmann ist ein innovatives wie schwieriges Buch. Oft sperrig und weitschweifig, dann wieder auf den Punkt mit tollen Beschreibungen und seinem faszinierenden Stil. Ich wüsste allerdings keine einzige Person, der ich dieses Buch empfehlen könnte, weil mir nicht klar geworden ist, wessen Geschmack es treffen möchte. Insgesamt war es daher für mich leider nicht überzeugend.

Kommentare

Emswashed kommentierte am 22. Februar 2020 um 10:33

Mir! Schon Buchdoctors und Pitischis Rezis haben mich überzeugt, da brauchste mit Sternenabzug nicht abwiegeln! ;-))

katzenminze kommentierte am 22. Februar 2020 um 10:47

Aha, das merke ich mir, dann bekommst du ab sofort alles Milchmann-mäßige empfohlen! ;) Bin ich neugierig, was du sagst. Bei den Buch kann ich tatsächlich alle Sternebewertungen von 1 bis 5 nachvollziehen.

katzenminze kommentierte am 22. Februar 2020 um 17:59

Hahaha, mein Satzbau, das ist ja peinlich! XD ICH BIN neugierig... *öhöm

wandagreen kommentierte am 22. Februar 2020 um 18:07

Wundere dich nicht, Minzi, Ems liest auch Günter Grass gerne. Sie ist der blaueste Blaustrumpf, den ich kenne, aber sie hat Sfmässige Abgründe. (Und andere). Was dann wieder beruhigend ist.

Emswashed kommentierte am 10. April 2024 um 17:15

Södele, Beweis erbracht! Rezi.