Rezension

Düster und packend

Wolfskinder -

Wolfskinder
von Vera Buck

Bewertet mit 4 Sternen

Das Böse wohnt hier, wie dort

Die Handlung nimmt uns mit in eine mehr als abgeschiedene Siedlung in einer Bergregion. Ein Ort wie aus einer vergangenen Zeit, dessen Bewohner mit allen Mitteln versucht unsichtbar zu bleiben. Schnell wird klar, dass dort etwas nicht zu stimmen scheint. Zunächst ist es mehr ein Gefühl als etwas Greifbares. Zeitgleich lernt man die junge moderne Smilla kennen. Genau vor 10 Jahren verschwand ihre beste Freundin aus genau dieser Bergregion. Immer noch traumatisiert, hat sie die Suche nach ihr nie aufgegeben. Und immer wieder verschwinden dort junge Mädchen.  Auf der Suche nach der Wahrheit bringt sie etwas ins Rollen, das den ganzen Berg erschüttern wird.
Der Prolog ließ schnell erahnen, dass nicht nur idyllische Almromantik in diesen Bergen herrschen kann, sondern  dort das Böse lauert, das einen einmal gepackt, schwer wieder los lässt. Schon dieser Einstieg hinterließ bei mir klaustrophobische Gefühle. Welches Monster lauert dort im Berg?
Zu Beginn war mir die Siedlung Jakobsleiter und dessen Bewohner doch sehr suspekt. Wer verzichtet freiwillig auf moderne Annehmlichkeiten und führt stattdessen ein, in unseren Augen, entbehrungsreiches Leben? Weshalb leben dort eigentlich fast nur Männer? „Dies ist kein Ort, der für das Leben erbaut wurde. Er ist fürs Verstecken gemacht. Aber wovor?“ Doch scheint selbstgewählte Einsamkeit meist durch schlechte Erfahrungen begründet zu sein. Dies merkt man schon am Verhalten des Nachbardorfes. Mit dem wahren Ursprung dieser Siedlung hätte ich aber nie im Leben gerechnet. War mir anfangs diese Art zu leben doch recht weltfremd, empfand ich im Laufe der Geschichte die Einbindung der sogenannten Zivilisation als etwas Störendes. Auf beiden Seiten herrscht ein, durch Geheimnisse und Vorurteile geschürtes Feindbild. Zeitweise hatte ich wirklich das Gefühl, dass je zivilisierter die Menschen waren, desto grausamer waren sie.
Das Smilla all die Jahre nicht aufgegeben hat, war beeindruckend. Ich bewunderte ihre Hartnäckigkeit und wunderte mich, dass sonst niemand die Zusammenhänge sah. Ich war neugierig darauf, wer nun der wahre Teufel war und habe Smilla eine Erlösung von dieser Ungewissheit gewünscht. Ebenso habe ich mit Rebekka mit gefiebert und ihr ein gutes Ende gewünscht. Doch trotz des allgegenwärtigen Nervenkitzels, konnte mich die Tätersuche nicht ganz packen.
Die Wahrheit ist ein zweischneidiges Schwert. Was für den einen Befreiung bedeutet, endet für andere in Zerstörung. „Die Männer sind auf den Berg gekommen, um alles kaputt zu machen, was bislang meine Welt war. Doch sie haben die falschen Waffen mitgenommen. Es braucht gar kein Benzin und keine Feuerzeuge. Es braucht nur die Wahrheit.“
Die Geschichte zeigte mir außerdem, wie sehr die Umgebung, das eigene Denken und Werteempfinden beeinflussen kann. Dies wird besonders an den drei einzigen Kindern in Jakobsleiter deutlich. Rebekka, 16 Jahre, kann und will nicht mehr so abgeschieden leben. „Was für eine Ironie, dass ich dem Berg entkommen wollte. Und nun Stecke ich mittendrin.“
Jesse, 17 Jahre, der gern zur Schule geht aber nie seine Familie im Stich lassen würde und sich eigentlich auch in der Siedlung wohlfühlt.
Edith, 8 Jahre, macht den Eindruck eines wirklichen Wolfkindes. Sie spricht nicht,  ist eins mit der Natur und sehr intelligent. Ihre Art zu Denken machte mir stellenweise schon Angst. In ihr wohnt eine Wildheit inne, die sie fast zu einem Talgeist macht. „Man lernt viel, wenn man tote Tiere untersucht, und man lernt noch mehr, wenn man den Tieren beim Sterben zusieht.“
Die Geschichte wird abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Dies gibt dem Leser die Möglichkeit die Geschehnisse aus mehreren Sichtweisen zu erfahren. Dennoch bleibt lange ein Schleier über der eigentlichen Wahrheit. Die Kapitel sind relativ kurz und geben einem dadurch die Möglichkeit öfters das gelesene zu reflektieren. Die Autorin hat wirklich geschafft, jedem Erzähler einen eigenen Erzählstil zu geben. Dadurch hatte man noch mehr das Gefühl in deren Gedanken- und Gefühlswelt einzutauchen.  Es herrscht durchgehend eine beklemmende Atmosphäre und es entstehen düstere Stimmungsbilder, die einen kaum los lassen. Selbst die traumhafte Kulisse wirkte dadurch kalt und unwirtlich. Ab und an flacht der Spannungsbogen etwas ab, doch auch die leiseren Szenen waren nicht weniger düster.
Das Cover wirkt sehr geheimnisvoll und symbolisiert durch sein Spiel aus Licht und Schatten, die beiden Seiten des Berges.
Leider blieben für mich 1-2 Fragen nicht vollständig geklärt.
Wolfskinder ist ein einnehmender Thriller, der es schafft gerade mit den leiseren Tönen einem bis in Mark zu kriechen. Tatsächlich waren die Thrillerelemente für mich eher nebensächlich. Mich faszinierten vor allem die subtile Gesellschaftskritik und die psychologisch gut durchdachten Charaktere.