Rezension

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Ein zuckersüßes Buch mit Doppelmoral

Mein Herz zwischen den Zeilen - Jodi Picoult, Samantha van Leer

Mein Herz zwischen den Zeilen
von Jodi Picoult Samantha van Leer

Bewertet mit 3.5 Sternen

Welchem begeisterten Leser ist das noch nicht passiert? Sich in einen fiktionalen Charakter verliebt zu haben? Sich vorzustellen, man wäre selber in dem Buch, oder man könnte sich den oder die Angebetete/n in sein Leben wünschen. Ich glaube, ich kann da mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich als Vorsitzende dieses Clubs melden kann.

Delilah geht es da wie 1 Mio anderer Mädchen auch, nur ist sie quasi besessen von dem Buch, was mich zu Anfang ein wenig stutzig gemacht hat. Sie kann  das Buch nicht weglegen, hält es im Arm wenn sie schläft, tut keinen Schritt ohne das Buch. Nicht ihre beste Freundin und auch nicht ihre Mutter wollen ihr glauben, was ihr geschieht. Zurecht. Ich würde das auch für ein Hirngespinst halten, auch wenn ich eine sehr …breit gefächerte Phantasie habe. Nun gibt es aber Oliver eben wirklich, und er versucht alles, um aus diesem Gefängnis, das das Buch, in dem er den Prinzen spielt, zu entfliehen, aber ein Plan nach dem anderen misslingt. Ich hätte wahrscheinlich schon aufgegeben, aber Delilah ist so versessen darauf, Oliver zu befreien, dass sie sogar darüber hinaus ihre beste Freundin vergisst, mit der sie eigentlich jedes Geheimnis geteilt hat. Hier finde ich, hat wieder das Klischee zugeschlagen, dramatische Wendepunkte hier, ein paar Therapiestunden da, und tada – hat man ein paar Steine in Delilahs Weg erschaffen. Bis jetzt habe ich nicht verstanden, warum weder die Mutter noch der Therapeut versucht haben, ihr das Buch wegzunehem, um einen eiskalten Entzug zu verursachen. Diesen Weg der Handlung hätte ich vielleicht interessanter gefunden.

Ein bisschen kommt mir Delilah wie Bella vor (ich glaube, hier weiß jeder, welche Bella ich meine, aber falls nicht: die Hauptfigur aus Twilight), die nicht ohne ihren Angebeteten leben kann, und alles andere um sich herum vergisst, seien es Freunde, Familie oder sonst wer.

Oliver hingegen ist mir da doch schon sympathischer. Er kann immerhin nichts dafür, dass ihn jemand erfunden hat und er nun eine Art Eigenleben entwickelt hat und er jede denkbare Chance nutz, aus dem Buch zu fliehen. Auch er handelt selbstsüchtig, als er Delilah ohne viel nachgedacht zu haben zu sich ins Buch holt, wächst aber schnell über seine Handlungen hinaus und sieht sein Verhalten ein. Er ist viel erwachsener als Delilah, obwohl er in einem Märchen „aufgewachsen“ ist und Delilah in der echten Welt.

Aber nun gut. Es ist ein Jugendbuch und nicht die Realität. Und das muss sich Delilah irgendwann auch eingestehen. Sie überwindet ihren Egoismus und ihre Selbstsüchtigkeit, die mich schon vom Beginn des Buches an ihr gestört haben. Für sie ist einfach alles selbstverständlich gewesen.

Das Ende hat mich doch widerrum sehr überrascht, da ich nicht damit gerechnet hätte, dass die beiden es wirklich schaffen würden, Oliver aus dem Buch zu befreien.

Ich fand es mehr als unrealistisch, dass der Sohn der Autorin, der Oliver zum Verwechseln ähnlich sieht, sich einfach so aufopfert und mit Oliver den Platz tauscht, weil seine Mutter „sich immer einen Sohn wie Oliver gewünscht hat“. Ich finde es schrecklich, dass er die Gefühle seiner Mutter so missinterpretiert, da sie sich nur gewünscht hat, dass Edgar, so heißt ihr Sohn, sich Oliver zum Vorbild nimmt und mutiger wird. Auch wenn Oliver das eigentlich nicht, obwohl ich auch das nicht verstanden habe, da er sich ja doch auf die Suche nach der verschwundenen Prinzessin macht.

Wie wollen Delilah und Oliver  Edgars Mutter erklären, dass die beiden die Plätze getauscht haben? Oder haben sie das gar nicht vor? Wollen sie auf alle Ewigkeit so tun, als wäre Oliver Edgar? Ich finde hier ist das Ende überhaupt nicht durchdacht worden. Ich war mehr als schockiert, dass das Buch so endete und habe ein Tränchen vergossen, nicht, weil ich es  so schön war, sondern weil Edgar mir so leid tat und er so ein Ende nicht verdient hat. Natürlich ist es schön, dass Delilah und Oliver jetzt zusammen sein können, aber wenn man die Geschichte nur von dieser Seite betrachtet, dann tut es mir für den Leser leid. Eine Geschichte voller Widersprüche und Doppelmoral.