Rezension

Gelungener Einstieg in ein neues Universum

Wild Cards 01 - Das Spiel der Spiele - George R. R. Martin

Wild Cards, Die zweite Generation - Das Spiel der Spiele
von George R. R. Martin

Bewertet mit 4 Sternen

Das Wild Cards- Universum, das George R.R. Martin zusammen mit anderen Autoren geschaffen hat, ist eine Alternativwelt zu der unsrigen. In den Vierziger Jahren drangen Außerirdische auf die Erde ein, konnten zurückgeschlagen werden, aber dennoch konnte nicht verhindert werden, dass sich ein Alien-Virus von New York ausgehend auf der ganzen Welt verbreitet. Wer daran erkrankt (und wohlgemerkt erkranken nicht alle daran) stirbt entweder, wird seltener ein Joker oder noch seltener ein Ass. Die Asse sind das, was wir uns unter klassischen Superhelden vorstellen.

Da gibt es Menschen, die sich in einen Schwarm Wespen verwandeln können, die das Wetter beherrschen oder fliegen können. Die Bandbreite ist groß, der Ideenreichtum der Autoren beeindruckend. Dabei hat sich mir persönlich die genaue Unterscheidung zwischen Jokern (die nur körperlich verwandelt werden) und Assen nicht so recht erschlossen. Tatsächlich habe ich im Laufe des Romans immer mehr den Eindruck, dass diese Einteilung eher willkürlich geschieht und oft nicht wirklich nachvollziehbar ist. Joker, deren Mutation irgendwie nützlich ist, gelten als Asse, manchmal aber auch nicht.
Das Wichtigste ist aber, dass egal wozu einem das Virus macht, man dennoch ein Mensch bleibt. Mit allen charakterlichen Stärken und Schwächen, die Menschen so haben.

Auswirkungen hat es jedoch schon, ob man als Ass oder als Joker gilt. Asse gelten immerhin als cool (wenn auch nicht als normal und nur bedingt als gesellschaftsfähig), während Joker nahezu nur diskriminiert werden. In einigen Ländern schlimmer als in anderen. Überhaupt ist das Thema Toleranz ein stetig wiederkehrendes Thema in diesem Buch.

Und da sind wir schon in der Haupthandlung des Romans. Wir beginnen in der arabischen Welt, die sich seit einiger Zeit unter einem Kalifen vereinigt hat. Gerade ist auch Ägypten dem Kalifat beigetreten, da wird ein Anschlag auf den Kalifen verübt.
Man dreht es so, dass der auf auf ägyptische Joker geschoben wird und damit beginnt das Morden. Wie praktisch, dass sich die ägyptischen Joker noch dazu vom Islam abgewendet haben und die alten ägyptischen Götter anbeten. Noch ein Vorwand mehr alle auszurotten, die den islamistischen Extremisten nicht passen.
Damit beweist das Buch leider eine erschreckende Aktualität, wenn man sieht, was gerade der Islamische Staat gerade im arabischen Raum verbricht.

Aber zunächst einmal schwenkt sie Handlung in die USA. Da laufen die Vorbereitungen für eine Casting Show, die den “American Hero” krönen soll. Ausgewählte Asse sollen hier gegen einander antreten.

Die Kapitel werden abwechselnd von neun verschiedenen Autoren erzählt. Mir persönlich bekannt waren nur zwei der Autoren. Etwas schade fand ich, dass am Ende eine kleine Biographie der Mitwirkenden fehlte . Ich bin nämlich schon neugierig geworden, was die ansonsten alles so geschrieben haben (wer sich aber dafür interessiert wird auf der Wild Card-Hompage fündig: http://www.wildcardsonline.com/creators.html).
Dafür, dass dieser Roman ein Gemeinschaftsprojekt in wirklich großem Stil ist, ist ein absolut rundes Werk entstanden, das mich vollkommen überzeugen konnte. Als Anthologie-Sammlung kann man dieses Buch nicht wirklich bezeichnen, es ist ein gelungener, in sich stimmiger Gemeinschaftsroman, der konsequent eine große Geschichte erzählt.

Konzentriertes Lesen ist allerdings notwendig. Es werden viele Charaktere vorgestellt und die Handlung wird immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. Da sich die Erzählung jedoch zunächst auf das Team Herz (die Asse treten in der Show in Teams gegeneinander an) konzentriert, ist es gar nicht so schwierig den Überblick zu behalten.

Als Klammer der gesamten Erzählung dient Jonathan Hive, das Ass, das sich in Wespen verwandeln kann. Er ist Journalist mit einem eigenen Blog, der sich von der Show hauptsächlich Stoff für ein Buch verspricht. Zu Beginn hatte ich ein klein wenig Probleme mit seinem Charakter. Er ist nicht unsympathisch, aber zu selbstgefällig, zu glatt, zu distanziert, zu egoistisch, wenn auch mit viel trockenem Humor gesegnet.
Zum Glück wird er immer wieder von überraschenden Ereignissen mitgerissen, was ihm mehr als gut tut. Da er stets bei allen wichtigen Geschehnissen vor Ort ist und wir als Leser immer wieder seinen Blog verfolgen können, bringt er Kontinuität in die Handlung.
Wie alle anderen macht er eine persönliche Weiterentwicklung in diesem Buch mit.

Einige Asse entwickeln sich jedoch stärker als andere. Denn ein Ass zu sein, bedeutet eben nicht ein Held zu sein. Asse sind ganz gewöhnliche Menschen. Ihre Ass-Fähigkeiten sind oft nicht einmal besonders nützlich, vor allem nicht im Alltag.
Einige Asse mochte ich dabei mehr als andere. Besonders Ana, Michelle und Wally sind mir ans Herz gewachsen. Mit Lohengrin hat Martin einen deutschen Helden der (wirklich) alten Schule erschaffen. Anscheinend kommen wir doch endlich mal vom Klischee des bösen Nazis los.

Etwas gefehlt hat mir persönlich die Sichtweise der Joker. Wie gesagt, wird zwar klar, dass die Grenzen zwischen beiden eh willkürlich und verwaschen ist, dennoch hätte ich gerne z.B. die Erlebnisse auch mal aus der Sicht eines amerikanischen, unbeteiligten Jokers oder vielleicht auch nur der eines normalen Menschen gesehen. Ich gebe jedoch zu, dass das den Rahmen gesprengt hätte, denn auch so bekommt der Leser es mit genug Perspektiven zu tun. Und das macht das Buch zu etwas Besonderem. Ich persönlich finde diese Art der Erzählung immer besonders spannend und abwechslungsreich. Langeweile kann so nie aufkommen.

In den neunziger Jahren ist mir das Wild Cards-Universum entgangen (immerhin erschienen in Deutschland 10 Bände, die wohl zu fünf Büchern gehören). Ich bin froh, dass ich jetzt durch diesen Roman darauf aufmerksam gemacht wurde, denn der Weltenentwurf bietet eine Menge Potential. Man muss aber nicht fürchten, dass “Das Spiel der Spiele” nicht in sich abgeschlossen ist. Das ist es. Es gibt keine Cliffhanger, auch wenn es natürlich viel Stoff für Fortsetzungen gibt.

Fazit: Ein gelungener Einstieg in das “Wild Cards”- Universum, das Lust auf mehr macht. Gerade die abwechlungsreiche Erzählweise mit den unterschiedlichen Perspektiven macht viel Spaß. Tiefe bekommt das Buch vor allem durch die aktuellen Bezüge. Oberflächliche, konsumorientierte Glitzerwelt auf der einen Seite, während der Genozid von Zehntausenden auf der anderen Seite ignoriert wird. Die zentrale Frage ist, was macht Helden wirklich aus?