Rezension

spannender Perspektivwechsel

STONE BLIND – Der Blick der Medusa -

STONE BLIND – Der Blick der Medusa
von Natalie Haynes

Bewertet mit 5 Sternen

Die Warhheit ist immer eine Frage der Perspektive

In dieser Adaption darf Medusa erstmals ihre Geschichte zu größten Teilen, selbst erzählen. Sie ist hier keine Priesterin der Athene, sondern eine echte Gorgone, wenngleich sterblicher als ihre beiden Schwestern. Die Geschichte und Beziehung der Schwestern war für mich das absolute Highlight. Diese unsterblichen Wesen sind zunächst völlig überfordert, sich um dieses hilflose Bündel zu kümmern. Daraus ergaben sich zahlreiche ungewollt witzige Situationen. Es war so herzerwärmend mit zu erleben, wie die beiden an ihrer Aufgabe wuchsen, sich hingebungsvoll um Medusa sorgten und sogar zu menschlichen Gefühlen in der Lage waren. Gewissermaßen erinnerte mich dieser Teil an Maleficient und Aurora. Doch leider ist Medusa das mitunter berühmteste Beispiel für Täter-Opfer-Umkehr in der griechischen Mythologie. Geschändet, diffamiert und verflucht kann nicht einmal die Liebe ihrer Schwestern ihr Leid mindern. Dennoch verliert sie nicht ihre menschliche Seite.
Gleichzeitig lernen wir Perseus, Sohn des Zeus und Halbgott, kennen. In vermeintlich guter Absicht, muss er sich auf die Suche nach dem Kopf einer Gorgone begeben. Hierbei erhält er sogar göttlichen Beistand. Anfangs hatte ich wirklich mit beiden Mitleid, da sie ja eigentlich nur Spielbälle der Götter waren. Medusas Hass auf Perseus konnte ich zum Teil nachvollziehen, da er sie ja ermordete. Trotzdem kam ich nicht umhin mich zu fragen, weshalb sich ihr Hass so vehement auf seinen Charakter bezog. Erst im Laufe dieser „Heldenreise“ kam für mich Licht ins Dunkle. Perseus charakterlicher Wandel hat mich völlig verwirrt. War es Unwissenheit, menschliche Arroganz oder das Gefühl der Macht? Diese Frage kann ich nicht wirklich beantworten.
Zwischendurch kommen auch die Götter zu Wort und wir erfahren viel über ihre Taten. Dass die alten Götter grausam waren, war mir längst bekannt. Dennoch widert es mich jedes Mal aufs Neue an. Unsterbliche, gelangweilte, streit- und rachsüchtige Wesen, die selber der Hybris verfallen sind. Ohne ihre göttliche Macht sind sie nicht besser als so mancher Mensch.
Natalie Haynes Sicht der Geschehnisse hat mich wirklich überrascht und zum Nachdenken gebracht. Hier einige Zitate: „Wer entscheidet, was ein Monster ist? Was macht jemanden zu einem Monster? Wer entscheidet, wer der Liebe würdig ist? Ist ein Monster immer böse? Gibt es überhaupt so etwas wie ein gutes Monster? Denn was passiert, wenn ein guter Mensch zu einem Monster wird?“ Diese Fragen beschäftigen mich noch immer und werden noch lange nachklingen.
Der Aufbau der Geschichte ist wirklich eigenwillig und besonders. Auf den ersten Blick scheint es vielleicht seltsam zu sein, dass ein Buch dessen Hauptthema Medusa ist, so viele Nebenhandlungen und augenscheinlich irrelevante Details enthält. Für mich ergibt sich aber gerade daraus ein Gesamtbild. Es kommen außenstehende Beobachter, wie Tiere, mythologische Wesen und sogar Pflanzen zu Wort und geben noch ein Mal eine ganz neue Perspektive. Nachdem ich hinter das Geheimnis der Gorgoneion gelangte, war ich schon sehr beeindruckt.
Der Erzählstil passte sehr gut zur Handlung und unterstrich seinen mythologischen Charakter. Es gab mir das Gefühl, ein griechisches Epos zu lesen. An einigen wenigen Stellen schlich sich dann doch aber etwas Umgangssprache hinein, doch kann ich darüber hinwegsehen.
Ich bin überaus froh, dass Natalie Haynes Medusa eine Stimme gegeben hat, um ihre Geschichte zu verbreiten. Nur über das Ende, also das wirkliche Ende, bin ich etwas traurig. Einerseits scheint Medusa ihren Frieden gefunden zu haben, dennoch ist sie an dem Ort gelandet, an dem sie nie wieder sein wollte.