Rezension

Ungewöhnliches Familientreffen, bei dem nichts so ist, wie es scheint

Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen -

Die mörderischen Cunninghams. Irgendwen haben wir doch alle auf dem Gewissen
von Benjamin Stevenson

Bewertet mit 5 Sternen

Familientreffen bei Cunninghams: Ein abgelegenes, tief verschneites Resort in den australischen Bergen, die Matriarchin Audrey will den ältesten, frisch aus dem Knast entlassenen Sohn Michael zurück in den Schoß der Familie führen. Auch der ausgestoßene Ernest, dessen Aussage Michael vor drei Jahren in den Knast brachte, soll zu seiner eigenen Überraschung dabei sein. Michael ist jetzt mit Ernies Ex-Frau Erin zusammen und hat ungewöhnliches Gepäck bei sich. Als ein Toter gefunden wird, geht man zunächst von einem Unfall aus. Doch irgendwie glaubt Ernest das nicht. Er beginnt zu schnüffeln: Einer muss es ja machen, und schließlich schreibt er Bücher darüber, wie man Krimis schreibt. Wenn ihn das nicht qualifiziert! 

 

Herrlich skurrile Charaktere, verzwickt und clever konstruiert, ungewöhnliches Setting und spannender Plot! Mehr geht nicht. Der Autor verkauft seine Geschichte sehr gekonnt als wahr und das trägt nicht unwesentlich dazu bei, die Spannung auf einem stetig hohen Niveau zu halten. Der Stil ist recht ungewöhnlich, die ganze Zeit über spricht Ich-Erzähler Ernest den Leser direkt an, gibt ihm Hinweise und weist wiederholt sowohl auf die zehn goldenen Regeln des Krimi-Schreibens von Ronald Knox hin als auch auf Dinge, die er bereits erwähnt hat oder solche, die er noch erwähnen wird. Dabei gibt er sogar mehrfach die Seitenzahlen an, auf denen es Tote geben wird, bei einem eBook eher sinnlos, nichtsdestotrotz fiebert man als Leser darauf hin. Und das zurecht. Denn es bleibt konstant spannend und mehrere Wendungen sorgen immer wieder für Überraschungen. Mit seinem Stil parodiert der Autor mit einem Augenzwinkern das Genre der klassischen Kriminalgeschichte und schreibt genau deshalb eine sehr gute ebensolche.

 

Formal ist die Geschichte in mehrere Teile unterteilt, deren Titel mit Ernests Familienmitgliedern überschrieben und in fortlaufende Kapitel gegliedert sind. Die Charaktere sind durchweg sehr detailliert und vielschichtig beschrieben und die Story lebt zu einem großen Teil sowohl vom Verhältnis der Familienmitglieder zueinander als auch von ihrer Interaktion untereinander. Aber auch Außenstehende kommen nicht zu kurz und clever löst Ernest jedes noch so kleine Rätsel. Hier sind tatsächlich mehrere Fälle aus Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwoben und so findet Ernest nicht nur heraus, was es mit dem unbekannten Toten im Schnee auf sich hat, sondern auch was mit seinem verstorbenen Vater geschah. Nebenbei löst er das Rätsel um einen Serienkiller und findet seinen angeblich toten Bruder. Klingt kompliziert? Ist es auch. Als Leser muss man am Ball bleiben und darf in seiner Konzentration nicht nachlassen. Dank des sehr einhängigen Schreibstils fällt einem das aber nicht schwer. 

 

Eine ungewöhnliche Familie, in der fast jede und jeder etwas zu verbergen hat und die zusammenhalten wie Pech und Schwefel, und das besonders Außenseitern gegenüber, wozu auch der anfangs widerwillig herumschüffelnde Ernest gehört. Er bekommt mehr Hilfe von Resortchefin Juliette als von seinesgleichen. Ernests Antrieb sind meines Erachtens seine unermüdliche Neugier und der Wunsch, die Wahrheit herauszufinden. Und auch ein bisschen der Wunsch, von seiner Familie nicht mehr als Verräter abgestempelt zu werden. Ernest nimmt uns als Leser mit auf seine Reise als Ermittler und lässt uns an seinem Wissen eins zu eins teilhaben. Man weiß an sich immer genauso viel wie er und doch lange nicht genug. 

 

Fazit: Sehr gut konstruierter Krimi, der das Genre liebevoll auf die Schippe nimmt und ihm dadurch seine Ehrerbietung erweist. Wer gerne selbst ermittelt: Vergessen Sie es. Auch wenn der Autor Ihnen weismachen will, dass er überall Hinweise versteckt hat, es ist einfach soviel Material, dass man lieber Ernest einem die Lösung auf dem Silbertablett, sprich klassisch in der Bibliothek, servieren lässt. Da findet das große Finale mit einem Paukenschlag statt und eine ungewöhnliche, hervorragende Geschichte ihre Vollendung.