Rezension

Tod auf vier Hufen

Rot wie das Meer
von Maggie Stiefvater

Bewertet mit 3 Sternen

Die große Pferdenärrin ist an mir nicht verloren gegangen, trotz der Kindheit auf dem Bauernhof. Aber Pferde waren bei uns immer nur Nutztiere, die den Wagen ziehen oder, wenn der Trecker nicht anspringt, eben auch den alten Pflug aus Uropas Zeiten. So blieb mir nur die Pferdeliteratur à la Black Beauty & Co, allerdings als vorübergehende Episode meiner jungen Teeniejahre. Diese Geschichten über den edlen hochbeinigen Freund des Menschen bzw. vor allem junger Mädchen konnte sich wohl auch Maggie Stiefvater nicht ganz entziehen. Ihre Hauptfigur Kate „Puck“ Connolly lebt verwaist mit zwei Brüdern auf der rauen Insel Thisby. In jedem Herbst wird Thisby von einem besonderen und tödlichen Phänomen heimgesucht. Capaill Uisce werden sie genannt – Pferdeähnliche Geschöpfe des Meeres, die wie große, faszinierende, tödliche Raubtiere Mensch und Tier jagen. Die Bewohner Thisbys haben sich arrangiert mit ihren unheimlichen herbstlichen Besuchern und weil man ohnehin auf der Insel Pferdenarr ist, gehört es quasi zum Initiationsritus der männlichen Thisbyer sich ein Capall Uisce zu fangen, es zu trainieren und an dem jährlichen Rennen am 1. November teilzunehmen. In diesem Jahr gibt es eine Sensation, zum ersten Mal in der Geschichte der Insel wird eine Frau das Rennen mitreiten. Kate selbst hat nicht viel nachgedacht, als sie ihrem großen Bruder entgegenschleuderte, dass sie das Rennen reiten wird. Es war das einzige, was ihr einfiel, als er ihr verkündete, die Insel zu verlassen und auf dem Festland Fuß fassen zu wollen. Der zweite Räuber Thisbys ist das Festland. Jährlich kehren viele junge Menschen ihrer Heimat den Rücken, weil die Insel nicht alle ernähren kann und wenig Abwechslung bietet. So riskiert Kate aus Angst und Wut vor dem Verlust ihres Bruders ihr Leben und das ihrer Stute, denn eins ist Kate schnell klar – auf ein Capall Uisce wird sie sich nicht setzen.

Rot wie das Meer richtet sich in erster Linie nicht unbedingt an den erwachsenen Leser. Das merkt man dem Buch schnell an. In wechselnder Perspektive zwischen Kate und Sean, der das Skorpio-Rennen bereits 4mal gewonnen hat und gerade 20 Jahre alt ist, bleibt der Erzähler klar gerichtet auf seinen jugendlichen Figuren. Der Leser erfährt nur, was die beiden erleben, denken und fühlen. Kate und Sean sind klassische Außenseiter. Die Capaill Uisce haben ihrer beider Leben verändert, sie mit dem Verlust geliebter Menschen konfrontiert. Beide gehen damit unterschiedlich um und fühlen sich wohl gerade darum voneinander angezogen. Eine Kombination, die die Herzen junger (und junggebliebener) Mädchen seufzend hüpfen lässt.

Maggie Stiefvater entführt den Leser auf eine Insel, die sich merkwürdig ausmacht in unserer Gegenwart. Nicht mit Sicherheit könnte ich sagen, in welcher Zeit die Geschichte spielt und welche Währung auf Thisby gilt. Alles ist etwas geheimnisvoll gehalten oder nicht ganz durchdacht, je nachdem wie man es betrachten will. In Vorbereitung auf das Rennen sterben nahezu täglich junge Männer, auch Kates Eltern kamen im letzten Jahr auf dem Meer durch Capaill Uisce um. Scharen von Menschen verlassen die Insel, um auf dem Festland zu leben. Die Männerdichte der Insel scheint wesentlich größer als die der Frauen, oder aber Frauen haben wenig zu melden und treten daher kaum in Erscheinung. Eigentlich wirkt es auf mich so, als müsste die Insel bei der hohen Zahl an menschlichen Verlusten eher allmählich aussterben als ein Problem mit Überbevölkerung haben. In Kombination mit der Legende um die tückischen Meerespferde erreicht Stiefvater mit der etwas aus der Zeit gefallenen Gestaltung der Insel, ihrer Bewohner und Besucher allerdings eine ausgefallene Umrahmung für die sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Kate und Sean. Die weißen Flecken im Text spornen die eigene Fantasie an und erhöhen sogar ein bisschen den Gruselfaktor. Die kauzigen, wortkargen Figuren erreichen mich als Leser und nehmen mich überraschend schnell für sich ein. Nur vor Pferden werde ich mich in Zukunft doch etwas in Acht nehmen, immer dann wenn der Herbstwind die Wellen besonders hoch peitscht.