Rezension

Zwei Schwestern, das erste Kinderkrankenhaus in Berlin, eindrucksvoll erzählt

Kinderklinik Weißensee - Zeit der Wunder -

Kinderklinik Weißensee - Zeit der Wunder
von Antonia Blum

Bewertet mit 5 Sternen

          Der sechste Geburtstag von Marlene sollte ein schöner, fröhlicher Tag werden. Mit Emma, ihrer kleinen Schwester isst  sie ganz viel Streuselkuchen, als Mama sich zusammenkrümmt und stirbt. Zwei kleine Mädchen – plötzlich ganz alleine. Sie wollen auf gar keinen Fall ins Waisenhaus, aber genau da verbringen sie zwölf Jahre ihres noch so jungen Lebens. Eine Ausbildung als Kinderkrankenschwester bietet ihnen dann die Chance zusammenzubleiben, aufeinander aufzupassen. Es geht hier streng zu, wobei die beiden sich leichter unterordnen können als die verwöhnten Töchter aus gutem Hause. Hanny Polsfuß, die Oberin, führt die Elevinnen mit eiserner Hand,  Disziplin und Gehorsam wird vorausgesetzt. Marlene und Emma müssen sich erst beweisen, die Polsfuß verordnet ihnen eine zweimonatige Probezeit. Bald spricht sich herum, dass die Schwestern vom Waisenhaus kommen und sie werden dementsprechend herablassend behandelt. Der adelige Assistenzarzt Maximilian von Weilert erkennt Marlenes Fähigkeiten,  die beiden verlieben sich, was aber nicht jedem und jeder gefällt. 

Mit dem ersten Teil der „Kinderklinik Weißensee – Zeit der Wunder“ führt Antonia Blum ins Berlin von 1911 - zurück in eine Welt voller Standesdünkel. Es ist erst gut hundert Jahre her und doch war es eine ganz andere Zeit. Der Mann war derjenige, der das Sagen hatte, Frauen hatten zu dienen. Adelig geboren hieß, eine gute Partie zu machen. Als erstgeborenes Mädchen verschrieb man sich in diesen Kreisen den Idealen des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz, die nachgeborenen Mädchen wurden standesgemäß verheiratet. Die Linie musste fortgesetzt werden. Gefühle? Darauf kam es nicht an.

Die Anfänge der Kinderheilkunde als eigene Fachrichtung, die Pädiatrie, wird hier sehr anschaulich und gut lesbar dargestellt. Bis dahin wurden kranke Kinder wie kleine Erwachsene behandelt. „Der Arzt als Erzieher des Kindes“ ist aus heutiger Sicht wohl nicht mehr nachvollziehbar. Engagierte Ärzte und gut geschulte Rotkreuzschwestern nehmen den Leser mit in diese ganz eigene Welt. Marlene und Emma gehen jede für sich ihren Weg, die eine träumt davon, eines Tages als Kinderärztin zu wirken, während die andere ganz in ihrer Rolle als Kinderkrankenschwester aufgeht. Es begegnen ihnen strenge, wohlwollende, ehrliche und hinterhältige Menschen auf ihrem nicht immer leichten Weg. 

Dieses Buch konnte ich nur schwer aus der Hand legen. Die Geschichte um die beiden Schwestern ist voller Leben, sehr einfühlsam erzählt. Den zweiten Teil „Die Jahre der Hoffnung“ sehne ich herbei, möchte mit den so vertrauten Personen weitergehen.