Rezension

Ein leiser, aber fesselnder Pageturner - vielversprechender Reihenauftakt mit interessanten Figuren

Kalt und still -

Kalt und still
von Viveca Sten

Bewertet mit 5 Sternen

„Sie findet keinen Platz in ihrem Körper. Alles tut weh, die Haut sticht und spannt, als hätte der Schock sie schrumpfen lassen. Die Muskeln sind so verkrampft, dass sie am ganzen Körper zittert, aber sie kann sich nicht entspannen. Könnte sie sich doch für immer in den Schlaf flüchten, wegdämmern und sich in barmherziger Bewusslosigkeit verstecken.“

Weil Hanna Ahlander fehlerhafte Ermittlungen nicht auf sich beruhen lassen und einen kriminellen Polizeikollegen nicht schützen möchte, wird sie von ihrem Vorgesetzten genötigt, ihren Dienst bei der Stockholmer City Polizei zu quittieren. Und dann erfährt sie auch noch, dass ihr Lebensgefährte Christian sich in eine andere Frau verliebt hat. Um zur Ruhe zu kommen, flüchtet Hanna in den Norden Schwedens nach Åre, ins Ferienhaus ihres Schwester. Doch die Verbrecher machen auch vor der Kälte nicht halt. In Åre verschwindet über Nacht die achtzehnjährige Amanda. Hanna schließt sich einem Suchtrupp an. Später unterstützt sie Kommissar Daniel Lindskog, der die polizeiliche Suche leitet, bei den Ermittlungen. Die Aufklärung des Falls entwickelt sich für Hanna brandgefährlich…

 

Viveca Sten formuliert lebendig und klar. Dank des leicht verständlichen, eingängigen Schreibstils liest sich der Roman fast wie von selbst. Die Autorin nimmt verschiedene Blickwinkel ein, schreibt abwechselnd aus der Sicht ihrer Figuren. Mal erzählt sie dabei von Hannas, Daniels, Amandas Situation oder auch wie Amandas Eltern Lena und Harald mit den Ereignissen zurechtkommen.  
Die Kapitel sind recht kurz gehalten. Durch den häufigen Perspektivwechsel wird immer mehr Spannung aufgebaut.  
Das sehr passende Cover, ein schwedenrotes Haus in einer schneebedeckten Landschaft wirkt wie der Titel des Buches „Kalt und still“.

 

Viveca Stens Figuren lassen mich als Leserin hingegen ganz und gar nicht kalt. Hanna Ahlander tut mir beispielsweise leid. Mit ihr ärgert man sich über Ungerechtigkeiten und fürchtet sich vor weiteren Misserfolgen: Erst verliert sie den Job, dann die Beziehung und schließlich auch noch die Wohnung. Dass sie da einerseits wütend über die Umstände ist und kopflos und impulsiv reagiert und andererseits unsicher wird, weil sie sich wie eine einsame Versagerin fühlt, ist nachvollziehbar.  Mitunter verhält sie sie recht leichtsinnig und etwas unvernünftig, um ihren Kritikern wie auch den eigenen Eltern zu beweisen, dass sie doch etwas auf dem Kasten hat.
Daniels Situation ist für viele junge Eltern keine unbekannte, er ist frisch gebackener Vater, seine Frau Ida ist mit dem Leben mit Baby zunächst etwas überfordert, fühlt sie doch jede Minute die Verantwortung für einen anderen Menschen auf sich lasten. Auch Daniel hat das Vatersein verändert, er möchte am liebsten jeden Moment mit Frau und Tochter genießen. Andererseits muss Daniel aber aufgrund des Personalmangels und des brisanten, wichtigen Falls, bei dem jede Minute zählt, viel arbeiten. Er sitzt zwischen den Stühlen, möchte sowohl seiner Familie als auch seinem Beruf gerecht werden. Daniels Zerrissenheit wird von Viveca Sten sehr nachvollziehbar dargestellt. Dass er dabei auch nicht immer souverän und rational handelt, macht ihn umso menschlicher.
Auch Amandas Eltern berühren. Ihr Vater Harald der Kommunalpolitiker, der nach außen die Fassade wahren muss, aber ein sehr unangenehmes Geheimnis hat, wirkt ebenso wie Mutter Lena so erschütternd hilflos. 

 

Ist Amanda noch am Leben? Wird sie rechtzeitig gefunden?  
Nicht allein der spannende Vermisstenfall, der immer größere Kreise zieht, ist packend und fesselt, auch das Leben der Figuren reißt mit. Viveca Stens Figuren interessieren. Wird Hanna wieder auf die Spur kommen? Schafft Daniel den Spagat zwischen Familie und Beruf? Und wie gehen Amandas Eltern mit der unerträglichen Situation um?  
Viveca Sten hat mit „Kalt und Still“ einen absoluten Pageturner geschrieben. Die Geschichte liest sich wie von selbst, kommt aber ohne Gewaltexzesse und übermäßige Action aus. Alleine die überzeugenden, authentischen Charaktere schaffen es, die Leser an die Geschichte zu binden. Ich möchte unbedingt wissen, wie sich Hanna Ahlander weiter schlägt. Für mich nach der absolut lesenswerten Serie um Thomas Andreasson ein weiterer sehr vielversprechender Serienauftakt der Autorin.