So schreibt man einen zeitgemäßen Liebesroman!!
Ständig rege ich mich darüber auf, das in verschiedensten Büchern nach wie vor männliche und weibliche Stereotypen verarbeitet werden, die nicht mehr zeitgemäß sind. Männer die Frauen schlecht behandeln und dafür dann angehimmelt und romantisiert werden. Sexszenen die deshalb peinlich und zum fremdschämen sind, weil dafür Worte benutzt werden, die alles sind außer erotisch, Frauen mit multiblen Orgasmen auf die Minute in dem sie auch nur berührt werden... Alle das hat Talia Hibbert einfach mal nicht gemacht - und ich liebe sie dafür!
"Kissing Chloe Brown" ist clever konstruiert, witzig, prickelnd und hat eine glaubwürdige Handlung, ohne das es dieses große Drama gibt, das darin mündet das man am Ende denkt: wie unrealistisch war das denn bitte?
Im Gegenteil, Chloe und Red sind Figuren, denen ich so in meine Nachbarschaft begegnen könnte. Red ist einfach mal kein Arschloch, bei dem man nicht versteht, weshalb Chloe eine Anziehung verspürt. Und Chloe ist eine tolle Frau, die einfach mal nicht Perfektion ausstrahlt und man sich als Leserin schnell minderwertig vorkommen könnte. Im Gegenteil. Ich habe mich aufgrund ihrer Krankheitsgeschichte schnell mit ihr verbunden gefühlt. Ihre Unsicherheiten und Ängste kenne ich von mir selbst. Ich konnte immer wieder soo gut verstehen, weshalb sie gegenüber Red manchmal total bescheuert handelt, obwohl sie das gleichzeitig gar nicht möchte. Auch Reds Unzulänglichkeiten und seine Ängste werden thematisiert. Zu Beginn denkt man, es wird so eine klassische Hate-to-Love Geschichte, aber schnell merkt man, das die Autorin hier mit diesem Strickmuster spielt und daraus etwas neues macht. Man merkt, das beide Figuren sich im Grunde anziehend finden, es aber aus ihren jeweiligen Lebensgeschichten heraus erstmal nicht zugeben können. Auch aus der Überforderung und Überraschung heraus, das es überhaupt so ist.
Talia Hibbert versteht es großartig, nicht nur realistisch zu erzählen, sondern auch die widersprüchlichen Handlungsweisen die man als Mensch halt auch mal an den Tag legt, mit ein zu bauen. Zu keiner Weise war ein Konflikt unrealistisch, im Gegenteil, es wirkte nicht überkonstruiert sondern aus den Figuren und ihrer Geschichte heraus absolut verständlich. Red ist ein Mann der seine eigenen Schwächen und Ängste hat, diese aber auch zugibt. Er arbeitet an sich und gleichzeitig ist er nicht nur darauf fixiert sich und seine Welt zu "verbessern" sondern vielmehr ein unterstützender Mann der Chloe mit Respekt behandelt. Er ist empathisch und man merkt, das er wirklich an ihr als Mensch interessiert ist und nicht nur, um mal eben seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen.
Dazu kommt der tolle Humor, Kissing Chloe Brown ist definitiv eine auch eine romantische Komödie. Die an den richtigen Stellen ernst bleibt, aber nicht ins schmalzige abdriftet.
Und endlich mal Sexszenen bei denen man sich nicht fremdschämen muss. Das hatte ich ja schon erwähnt, aber es war einfach auch angenehm das die Autorin zwar solche prickelnden Szenen einbaut, aber die beiden jetzt nicht nur in jedem Kapitel übereinander herfallen. Im Gegenteil. Diese Szenen sind Teil der Entwicklung der beiden als mögliches Paar. Sex ist hier teil der Kommunikation innerhalb dessen sie sich ihre Liebe zeigen. Das fand ich ziemlich gut und war auf eine angenehme Art und Weise erotisch. Und vor allem ist Chloe dort keine fremdbestimmte Sexpuppe, sondern beide sind gleichberechtigt. Das zeigt die Autorin hier auch sprachlich, oft werden Frauen dann als das unschuldige Hässchen dargestellt, das sie bitte schön brav sein sollen, denn hey, Frauen sagen doch nichts vulgäres im Bett. Falsch gedacht ;) Im Ernst, auch das hat mir total gut gefallen, Chloe hat eben genauso Lust wie Red und dieser achtet auf ihre Wünsche, ohne dabei seine eigenen ganz aus den Augen zu verlieren.
Je mehr ich darüber nach denke, desto mehr gewinnt das Buch noch mal in meinen Augen. Ich finde die Autorin zeigt hier einfach mal, wie ein zeitgemäßer Liebesroman geschrieben sein sollte. Nicht nur was die Beziehung von Männern und Frauen angeht, sondern auch, wie man einfach clever Diversität einbaut, in diesem Fall wird z.B. auch auf dem Cover kommuniziert das Chloe aus einer POC Familie stammt,
ihre chronischen Schmerzen werden als Teil ihres Lebens beschrieben und welchen Einfluss das auf ihre Gefühlswelt hat, ist ein wichtiger Konfliktpunkt für sie. Ihre Ängste und Träume, alles was sie tut, das hängt damit eng zusammen. Gleichzeitig hat sie den Mut sich dem Leben zu stellen. Sie ist stärker und mutiger als sie oft denkt und Red zeigt ihr das sie als Mensch im Ganzen großartig ist und es verdient hat das man sie liebt. Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen und jeder hat das Recht auf seine Gefühle, egal ob sie schlecht oder gut sind. Die Autorin schafft es das alles unterzubringen, ohne das man ständig das Gefühl hat, man wird belehrt. Auch die Nebenfiguren sind toll, schade das sie doch etwas zu kurz kommen. Vor allem von Reds Freunden hätte ich gerne mehr erfahren. In Chloes Leben spielen vor allem die Schwestern eine große Rolle und ich gebe zu, auch von ihnen hätte ich durchaus gerne noch mehr gelesen. Sie haben die Angewohnheit in die unmöglichsten Situationen zu platzen - gut das sowohl Dani als auch Evie ihre eigenen Romane erhalten haben (im Original sind beide schon erschienen und Danis Geschichte ist auch schon für 2021 angekündigt) ich hab sehr große Lust weiter zu lesen!
Für mich hat Talia Hibbert es einfach mal allen gezeigt. Der Roman antwortet so ganz nebenbei auf wichtige gesellschaftliche Themen wie Diversity, MeToo und toxische Männlichkeit, Umgang mit "unsichtbaren" Krankheiten in dem sie den Spieß umdreht und mal eben zeigt, wie man es einfach richtig macht. Ein Zeitgemäßer Liebesroman, bei dem man auf nichts verzichten muss, außer auf eine toxische Beziehung und eine PeggySue Figur die ohne ihren "Christian" nicht existieren kann.
Hi und da hätte ich mir trotzdem einen etwas stärkeren Konflikt gewünscht. Ich fand die Lösung des Ganzen ging ein klein wenig zu schnell.
So aus dem Bauch heraus vergebe ich tatsächlich nicht die volle Punktzahl, weil mir da noch ein klein wenig gefehlt hat. Ich persönlich bin aber auf jedenfall jetzt ein großer Talia Hibbert Fan geworden und bin sehr gespannt auf die beiden Fortsetzungen!