Rezension

Ich habe ein wenig mehr erwartet

Zorn und Morgenröte - Renée Ahdieh

Zorn und Morgenröte
von Renee Ahdieh

Im Moment ist meine Lesezeit immer etwas knapp bemessen, und als ich vor wenigen Tagen mit einer Freundin darüber plauderte, wie man diese Zeit optimieren könne, meinte sie, dass man den Lesestoff mit Bedacht auswählen solle. Nachdem ich mir diese Worte sehr zu Herzen genommen und meinen Stapel der noch ungelesenen Bücher neu sortiert habe, klingelte es an meiner Tür und ein freundlicher Mitarbeiter überreichte mir ein Buch, das im Moment hoch gelobt und in aller Munde ist. Wie soll man dann objektiv beurteilen können, ob dieser Lesestoff wirklich das hält, was er verspricht? Bei „Zorn und Morgenröte“ von Renée Ahdieh stimmte auf den ersten Blick alles: die vielen überwiegend positiven Rezensionen, das wunderschöne Cover und die verheißungsvolle Zusammenfassung einer Geschichte im Stil von "Tausend und eine Nacht":

Kann man einen Mann lieben und vertrauen, der als junger Herrscher sein ganzes Land in Angst und Schrecken versetzt? Der junge König von Chorason heiratet jeden Tag ein anderes Mädchen, nur um sie am darauffolgenden Tag bei Sonnenaufgang hinrichten zu lassen. Shahrzad verlor auf diese Weise ihre beste Freundin Shiva. Um Rache auszuüben, beschließt sie, sich freiwillig als Braut zu melden, um ihren Plan in die Tat umzusetzen und den Mann zu töten, der ihr die geliebte Freundin nahm. Als Sharhrzad in dem prächtigen Palast des Kalifen Chalid ankommt, erkennt sie mit jeder vergangenen Stunde, dass Chalid nicht der junge Tyrann ist, für den sie ihn einst gehalten hat. Und dass jede Geschichte zwei Seiten hat und viele Geheimnisse im Verborgenen liegen hinter dicken Palastmauern.

Viele Ideen sind in dem Jugendbuchbereich tausendfach erzählt und wirken abgenutzt und uninteressant. Die Aufmachung und der Stil von „Zorn und Morgenröte“ offerierten für mich eine willkommene und lang ersehnte Abwechslung. Aus diesem Grunde musste diese Lektüre nicht all zu lange darauf warten gelesen zu werden. 

Ohne große Umschweife und Informationen zum vorherigen Geschehen versetzt Renée Ahdieh ihre Leser mitten in ein spannendes Geschehen. Hier lernt man die literarische Hauptfigur Shahrzad kennen und wird in ihren Plan, den Kalifen zu töten, eingeweiht. Warum dieser den Zorn eines ganzen Volkes auf sich zieht, indem er jeden Morgen aufs Neue ein ihm angetrautes Mädchen ermorden lässt, bleibt jedoch lange im Verborgenen. Folglich ist der Charakter Chalids für das Interesse an der gesamten Geschichte sehr wichtig, denn bei dem Leser wächst die Neugier für seine Beweggründe mit jeder Seite. Bis man dieses Geheimnis gelüftet hat, benötigt man jedoch einen langen Atem. Die Handlung gerät nach den ersten starken hundert Seiten ins Stolpern, weil sie nicht gradlinig weitererzählt wird. Ahdieh konfrontiert den Leser immer wieder mit neuen Nebenschauplätzen, deplatzierten Verwicklungen und wirft ihm neue Puzzleteilchen, die er sich selbst zusammensetzen muss, obwohl sie nicht immer zueinander passen. Hinzukommen die häufigen Perspektivwechsel, die den Leser immer wieder aus einem interessanten Geschehen ziehen. All das lässt das Geschehen sehr unruhig wirken und bestärkt die Vermutung, dass die Autorin auf Biegen und Brechen eine Trilogie erarbeiten möchte - ohne zu berücksichtigen, ob ihre Ideen dafür ausgelegt sind. In den letzten Passagen nehmen das Tempo und die Zielstrebigkeit Ahdiehs deutlich zu und man kommt nicht umhin sich zu fragen, warum die Autorin sich nicht kontinuierlich dieses Stiles bedient hat.
Die Mehrheit der literarischen Figuren unterbrachen des Öfteren meinen Lesefluss. Nicht nur wegen ihrer komplizierten Namen. Ahdieh hat ihre Charaktere bis auf einen sehr oberflächlich gestaltet, indem sie ihnen triviale Eigenschaften verliehen hat. So fand ich persönlich nur schwer Zugang zu ihnen. Einzig Chalid zog mich mit seinen ungewöhnlichen und interessanten Charakterzügen in seinen Bann und bereicherte die Geschichte enorm. Mit jeder gelesenen Passage wurde ich neugieriger, welche Geheimnisse er vor seinem Volk und vor dem Leser verbirgt.

In „Zorn und Morgenröte“ hat Renée Ahdieh gezeigt, dass sie viele Ideen mit großem Potenzial hat und so viele junge Leserherzen im Sturm erobert. Mir persönlich wirkten diese Ideen mit zu vielen klischeehaften Details ausgeschmückt und nicht konsequent genug erzählt und die literarischen Figuren etwas unausgereift und ihr Erzählstil zu ausschweifend. 

Nach dieser Lektüre steht für mich fest, dass man seine Lektüre nicht weise wählen kann. Man darf sich nicht an einem ausgefallenen und schönen Cover und einer vielversprechenden Zusammenfassung orientieren. Jeder Leser nimmt eine Geschichte anders wahr und ich versuche jetzt einfach wieder meinen Instinkten zu folgen, ohne groß darüber zu philosophieren, ob es die richtige Lektüre für mich ist, und lasse mich einfach überraschen.