Rezension

Sehr gut

Der große Sommer
von Ewald Arenz

Bewertet mit 5 Sternen

Das Leben ist ein Fluss, in den man nur ein einziges Mal steigt!

 

Arenz Werk wurde von einem Buchhändler meines Vertrauens in unserer Regionalzeitung empfohlen. Mit Interesse habe ich die Vita des Autoren studiert.
“Der große Sommer” lässt sich sehr schön in einem Rutsch durchlesen. Was mir gut gefallen hat ist, dass sich einer meiner Generationenkollegen mehr als 40 Jahre später in die eigene Jugend versetzt, was ebensolches beim Leser bewirkt, Remineszensen weckt und dennoch ist es eine Retrospektive in einem erwachsenen, reiferen Alter. Arenz setzt dabei auch die Jugendsprache der 80iger ein (“Spasti” “endblöd” (53)), um die Protagonisten authentischer, die Handlung plastischer wirken zu lassen. Es geht darum, wie eine vermeintliche Kleinigkeit, ein dahin gworfener Satz oder auch ein Lebensereignis, der Tod des eigenen Vaters des Freundes Johann, in einem kurzen Augenblick das Leben verschiedener Menschen drastisch verändern kann. Es geht um die Vergänglichkeit, aber auch um Unbeschwertheit in der Jugend, um Ohnmacht, um Liebe (Frieder-Beate/ Großvater-Großmutter) , um Wehmütigkeit , dem “Zauber der ersten Male”. “Es war dieser eine Sommer, wie es ihn wahrscheinlich nur einmal im Leben gibt, dieser eine Sommer, den hoffentlich jeder hat; dieser eine Sommer, in dem sich alles ändert” (11). “Immer wieder denke ich an den Sommer, aus dem für mich alles hervorgegangen ist: mein Leben, wie es heute ist “ (40). “Beates Kuss ist der Anfang dieses verrückten Sommers” (123) “Es war so super, dass Sommer war” (139). Der Sommer ist der “große” Sommer, weil in diesem Sommer viel passiert, weil er auch für den Leser gefühlt lang dauert und weil er dermaßen bedeutsam ist, der Sommer im Jahr 2000. Der Sommer als die Blütezeit der Jahreszeiten und des Lebens. 
Friedrich, genannt Frieder, der 5 Geschwister hat und im selben Jahr wie der Autor geboren wurde (1965) , verbringt als Fünfzehnjähriger die Sommerferien bei seinen Großeltern, Walther und Nana (Bj. 1943), um für die schulische Wiederholungsprüfung zu lernen. Sein Großvater ist eine Persönlichkeit, die ein strenges Regiment führt und den er bis zum 10. Lebensjahr siezen musste. Immer in Anzug und Krawatte gekleidet, ist der Großvater unerbitterlich und unterzieht den Enkel ständig Prüfungen zum Allgemeinwissen, auch in den alltäglichsten Situationen. Der Großvater bedeutet für Frieder Führung, Struktur, Vorbild und auch Liebe, die er genießt, denn sein eigener Vater wirkt eher emotional abwesend, Großvater aber “ist für zwei Väter gut” (172). Das Wort “gestrengen” auf dem rückseitigen Einband finde ich übrigens äußerst antiquiert. Die Großmutter Nana ist warm und impulsiv, mit ihr führt Frieder schöne und wichtige Gespräche. Der Leser wünscht sich solche Großeltern, auch wenn die eigenen nicht schlecht waren, auch für heutige Kinder, denen es an Struktur und Führung, an einem Zuhause und Geborgenheit fehlt. 
Das Cover ist schön und eines der seltenen, die mal wirklich zum Buchinhalt passen. 
Seine Familie betrachtet Frieder als “skurril”, auch wenn es eine Familie ist, die ihren Namen verdient und auf die er stolz ist, mit seiner Schwester Alma verbindet ihn ein außergewöhnlich enges Band.  Gut gefallen haben mir auch die teilweise philosophischen Fragen wie z.B. die, warum Dinge nicht einfach immer zwei gute Seiten haben, sodass eine Entscheidung keine negativen Konsequenzen hätte.  An Humor mangelt es dem Werk ebenfalls nicht.
Die Sprache, metaphorisch, arbeitet mit Bildern und Oppositionen, gefällt: “Es war ein Gefühl..wie wenn ein Instrument gestimmt würde” (64), “farbig erzählen” (87) “Ich hätte zehn Minuten nicken können, so einverstanden war ich” (73)”Sie ließ ihre Verachtung unvollendet in der Luft hängen” (223)
Von mir gibt es eine ganz klare Leseempfehlung. Das Buch lässt einen berührt und nachdenklich, aber auch beschwingt zurück und vielleicht wirkt es sich sogar auf die Gegenwart des einzelnen Leser aus: Bloß jeden Moment aufsaugen und genießen – er kommt nicht wieder. Das Leben ist ein Fluß, in den man nur einmal steigt.