Rezension

Da spürst du was

Die spürst du nicht -

Die spürst du nicht
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 4 Sternen

In seinem neuen Roman "Die spürst du nicht" erzählt Daniel Glattauer eine Geschichte über drei Familien. 
Aayana, ein Mädchen, das vor zwei Jahren mit seiner Familie aus Somalia nach Österreich geflüchtet ist, darf die Tochter der angesehenen Grünen-Politikerin Elisa Strobl-Marinek in den Familienurlaub begleiten. In der Toskana haben die Strobl-Marineks gemeinsam mit einer befreundeten Familie eine Villa gemietet. Aayana soll endlich schwimmen lernen, die Tochter beschäftigen und möglichst nicht auffallen. Doch es kommt anders: Das vierzehnjährige Mädchen ertrinkt im Pool. Obwohl die anwesenden Erwachsenen alles tun um sie zu retten, versucht man im Nachgang das Geschehene so schnell wie möglich abzuschütteln. Doch das gelingt nicht. Aayanas Tod wird nicht nur zu einem Fall für die Justiz, sondern erschüttert auch die sowieso schon brüchigen Familienkonstrukte in ihren Grundfesten. 

"Die spürst du nicht" Der Titel des Buchs ist insofern bezeichnend für den Roman, da er sich in weiten Teilen hauptsächlich um die reichen österreichischen Familien dreht, in deren Obhut Aayana gestorben ist. Das Mädchen und ihre somalische Familie spielen dabei kaum eine Rolle, der Text und die Sorgen der Protagonist*innen kreisen vor allem um sich selbst. Dabei wird die Geschichte von einem allwissenden Erzähler wiedergegeben, der das Geschehen kommentiert und einen entlarvenden Blick auf die agierenden Personen wirft. Die Handlung wird oft sehr szenisch dargestellt. Fast als würde man eine Theateraufführung beobachten. Diese Betrachtungen wechseln sich ab mit Dialogen, Transkriptne aus Interviews und Kommentarspalten auf Nachrichtenseiten, die von Aayanas Tod berichten. Der außergewöhnliche Aufbau das Romans trägt dazu bei, dass er sich kurzweilig liest und bis zum Schluss spannend bleibt. Ich habe das Buch in wenigen Tagen gelegen. Wenn man erst einmal damit anfängt, entwickelt sich schnell ein Lesesog. Man möchte wissen, wie es weitergeht. Vielleicht auch angetrieben durch die Emotionen, die das Buch auslöst. 
Also was habe ich gespürt, während ich "Die spürst du nicht" gelesen habe? 
Vor allem Wut und Scham im Bezug auf die Familie Strobl-Marinek und ihr Umgang mit dem Gesehenen. Der Geschichte gelingt es wirklich fantastisch, die Doppelmoral vieler westeuropäischer wohlstandsverwöhnter Menschen herauszuarbeiten. Einige der Protagonist*innen wirken dabei sehr realistisch, andere sind eher überzeichnet. Die Frauen kommen hier tendenziell etwas besser, bzw. ambivalenter weg, als die Männer. 

Natürlich ist "Die spürst du nicht" ein politischer Roman, der nicht davor zurückschreckt gerade im letzten Drittel auch entsprechenden Aussagen zu tätigen Man muss diesen nicht zustimmen, um das Buch zu mögen, sie sind aber allemal lesenswert. (Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass im Buch wenige Male das N-Wort in seiner ausgeschriebenen Form verwendet wird. Das halte ich generell und auch speziell in diesem Buch bzw. dem hier gezeigten Zusammenhang für unangebracht und absolut überflüssig.) 

Den inhaltliche Ausgang der Geschichte habe ich als grundsätzlich rund und folgerichtig, vor allem im Bezug auf das Schicksal der somalischen Flüchtlingsfamlilie Ahmed, empfunden. In einigen Ansätzen wirkt er vielleicht fast schon ein bisschen märchenhaft. 

Fazit: Mit "Die spürst du nicht" ist es Daniel Glattauer gelungen einen spannenden und gesellschaftlich sehr relevanten Roman zu schreiben, der mit Sicherheit viel Stoff bietet, über den es sich zu diskutieren lohnt. Es handelt sich um ein Buch, an dem sich einige Leser*innen mit Sicherheit aufreiben werden, das aber seiner offensichtlichen Mission, wohlhabende Menschen in ihrer Doppelmoral zu kritisieren, mit Sicherheit gerecht wird.