Rezension

Regt zum Nachdenken an

Die spürst du nicht -

Die spürst du nicht
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 4 Sternen

Zwei gutsituierte österreichische Familien fahren gemeinsam in den Sommerurlaub in die Toskana. Mit dabei ist Aayana, eine Freundin der 14jährigen Tochter Sophie-Louise und Flüchtlingskind aus Somalia. Der erste Ferientag verläuft geruhsam im Feriendomizil mit Pool, bis am Abend ein Unglück geschieht, das alles verändert.

Die Geschichte beginnt als herrlich bissige Gesellschaftssatire und wechselt nach dem Unglück etwas den Ton, die ironische Note tritt in den Hintergrund. Der Roman beleuchtet unseren Umgang als Gesellschaft und als Einzelne mit Migranten und Migrantinnen, geprägt von mangelnder echter Empathie, herablassender Ignoranz und kulturellen Missverständnissen.

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die Tochter Sophie-Louise und ihre Mutter Elisa, die für die Grünen im Nationalrat sitzt. Die Erzählung wird immer wieder ergänzt durch Onlineberichte diverser Medien und zugehörige Postings, die sehr gut getroffen sind. Jede Figur hat ihre eigene Art, mit dem Unglück umzugehen, doch drehen sie sich alle im Grunde nur um sich selbst und ihre eigenen Befindlichkeiten.

Die Charaktere sind scharf getroffen, der Schreibstil ist toll zu lesen. Leider ist der Part um Sophie-Louise recht vorhersehbar. Die Beschreibung der somalischen Familie empfinde ich als weniger gelungen, die Figuren wirken unrund und ihr Verhalten wenig glaubwürdig.

Zum Hörbuch: Das ungekürzte Hörbuch mit einer Laufzeit von 8h 47 min wurde von Tessa Mittelstaedt und Steffen Groth eingesprochen, wobei Frau Mittelstaedt die eigentliche Geschichte vorträgt und Herr Groth die Passagen, die Presseberichte und zugehörige Postings beinhalten. Diese Aufteilung ist eine tolle Idee und sehr gelungen umgesetzt. Beide haben eine sehr angenehme Stimme und ein gutes Sprechtempo. Herr Groth trifft genau den richtigen Presse-Ton und spricht auch die einzelnen Postings und Kommentare facettenreich und teilweise mit wunderbarem Wiener Dialekt. Ein echter Zugewinn zum reinen Buch! Auch Frau Mittelstaedt verstimmlicht jede Figur gekonnt und verleiht ihr eine individuelle Note.

Insgesamt eine interessante, außergewöhnliche und zum Nachdenken anregende Geschichte und ein  sehr empfehlenswertes Hörbuch mit  hervorragenden Sprechern.