Rezension

Ein Roman der leisen poetischen Töne

Der Gesang der Flusskrebse - Delia Owens

Der Gesang der Flusskrebse
von Delia Owens

Bewertet mit 5 Sternen

Oktober 1969. Im Marschland entdecken zwei Jungen die Leiche von Chase Andrews, einem der beliebtesten Söhne der Stadt, ehemals Starquarterback und Frauenheld. Schnell fällt der Verdacht  auf diejenige, auf die schon immer herabgeschaut und die schon immer verspottet wurde: das Marschmädchen.

August 1952. An einem heißen Morgen verlässt Kyas Mutter mit einem großen Koffer in der Hand ihre Kinder und den prügelnden Ehemann. Während die sechsjährige Catherine, genannt Kya, fest an ihre Rückkehr glaubt, verlassen die älteren Geschwister nach und nach die ärmliche Hütte in den Marschen. Kya bleibt allein mit dem Alkoholikervater zurück. An guten Tagen gehen sie gemeinsam angeln und er bringt ihr alles über die Marschen bei, was er weiß. An schlechten Tagen muss Kya vor den brutalen Überraschungsattacken ihres Vaters fliehen und verkriecht sich tief in den Marschen. 

Gekonnt verwebt Delia Owens in "Der Gesang der Flusskrebse" zwei Handlungsebenen miteinander: zum einen Kyas Kindheit und Erwachsenwerden seit dem Fortgang der Mutter, zum anderen den Erzählstrang, der mit dem Leichenfund beginnt und den ganzen Kriminalfall bis zum Gerichtsurteil verfolgt. Am Ende werden beide Stränge sich treffen und für den Leser ein stimmiges, wenn auch verstörendes Bild abgeben. Die Sprache der Autorin ist dabei zart und poetisch, vor allem dann, wenn sie Kyas geliebtes Marschland beschreibt. Vor den Augen des Lesers wird dieser Rückzugsort des jungen Mädchens lebendig. Immer wieder sind auch Gedichte in den Text eingebettet.

Überhaupt ist dieses Buch eine Geschichte der leisen Töne - abgesehen von dem Tod vom Chase Andrews sind es nur viele kleine Dinge, die die Handlung vorantreiben. Schon von Kindesbeinen an wird Kya mit der Abneigung der Menschen von Barkley Cove konfrontiert. Obwohl die Eltern aus durchaus angesehenen Familien stammen, landen sie mit ihren Kindern im Marschland und sind von nun an nur noch "das Sumpfpack". Mütter ziehen ihre Kinder von Kya fort, wenn sie ihr auf der Straße begegnen und so bricht sie auch nach einem einzigen Tag die Schule ab, weil sie die Hänseleien der anderen Kinder nicht ertragen kann.

Einzige Vertraute in diesem einsamen Leben sind der schwarze Ladenbesitzer Jumpin' und seine Frau Mabel, die allein aufgrund ihrer Hautfarbe in der Kleinstadt schon zu den Außenseitern gehören. Sie ermöglichen der kleinen Kya das Überleben, indem sie ihr Lebensmittel, Kleidung und Benzin für ihr geliebtes Boot eintauschen. Und dann ist da noch Tate, ein Freund von Kyas Bruder Jodie. Er besucht sie immer wieder in den Marschen, schenkt ihr die schönsten Federn, die er finden kann und bringt ihr außerdem das Lesen bei. Doch dann entscheidet er sich, aufs College zu gehen und Kya bleibt ein weiteres Mal allein zurück - eine Situation, die Chase Andresw für sich zu nutzen weiß.

Die Kriminalhandlung in "Der Gesang der Flusskrebse" spielt nur eine untergeordnete Rolle. In seinem Kern ist der Roman ein Buch über die Macht der Vorurteile und der Ausgrenzung. Was der Mensch nicht kennt, was er nicht versteht, das fürchtet er und so wird Kya schon lange vor dem Leichenfund in den Augen ihrer Mitmenschen zur Täterin. Was geschieht mit einem Kind, das in solcher Einsamkeit aufwächst? Und was wird aus einem Menschen, dem immer nur grundlos mit Ablehnung begegnet wird? Das sind Fragen, die Delia Owens in ihrer grandiosen Geschichte zu ergründen sucht. Denn Kya Clark ist nicht dumm oder schmutzig, nicht zurückgeblieben oder gefährlich - sie ist einfach nur ein wenig anders als die anderen. Ein Mädchen, das immer nur von allen verlassen wurde. Ob sie darüber hinaus auch noch zu einer Mörderin geworden ist, das muss der Lauf der Geschichte zeigen.

Fazit: "Der Gesang der Flusskrebse" ist definitiv kein einfaches, kein bequemes Buch, aber das muss Literatur ja auch gar nicht sein, oder?