Rezension

Der Tell macht, was er will

Tell
von Joachim B. Schmidt

Bewertet mit 5 Sternen

Zugegeben: Ich habe mich immer schwer getan mit den Dramen der bedeutenden Dichter und Denker, obwohl das verharmlost ausgedrückt wäre. Ehrlicherweise haben sie mich abgeschreckt, verscheut und den Deutschunterricht in den Vorhof der Hölle verwandelt - "Pole Poppenspäler" hat mich klaustrophobische Züge entwickeln lassen. "Die Leiden des jungen Werther" dachte ich zu einem späteren Zeitpunkt in meiner schulischen Laufbahn Schicht für Schicht freigelegt zu haben, empfand mich gar als Werther Flüsterer, um dann die Quittung meiner Analyse auf den Tisch geknallt zu bekommen. Knapp befriedigend, heißt so viel wie "knapp verstanden", dabei hatte ich mich gar selbst in seinem Leiden gewunden. Und das waren nur zwei von vielen Beispielen der gescheiterten Annäherung. Danach schwor ich diesem Kapitel gänzlich ab. Bis Joachim B. Schmidt mit "Tell" den Finger in die Wunde legte, Salz und Pfeffer darüber streute und mich damit allein ließ.

Bereits "Kalmann" hat mich um den Finger gewickelt durch seinen unkonventionellen Charme und so erschien es nur folgerichtig, auch "Tell" eine Chance zu geben, entgegen meiner frühzeitlichen Prägung. Und was soll ich sagen? Dieses Drama auf dieses mundgerechte Maß reduziert, actionreich und einnehmend, bringt eine traditionelle Geschichte mit neuer Würze auf den Tisch, durch wechselnde Perspektiven und neuzeitlichen Charme, sodass es in einem Happs verschlungen werden kann. Es hat für mich eine alte Barriere durchbrochen, den innerlichen Staudamm der Unfähigkeit diesen Werken etwas abzugewinnen.

Tell, ein einfacher Bergbauer, der seiner Bestimmung folgt, fasziniert seit Generationen und gilt als eine Sage, ob wahr oder erfunden sei dahingestellt, trotzdem stellt es die Basis der Freiheitsbewegung dar und einen Lichtblick am Ende des Tunnels.

Das Tempo rasant, der Stil leicht und der Sprung der Perspektiven herrlich erfrischend und genau das ist das Geheimnis dieses wilden Ritts durch dieses Drama des 14 Jahrhunderts. Und trotzdem bleibt der lyrische Charme, das Mysterium hinter Tell erhalten, gar unantastbar und trotzdem so wirklich, als würde ich in meinem eigenen Ahnenbuch lesen. Ich will jedoch nicht zu viel verraten, dem Zauber seinen Zauber lassen und jeden Willigen auf diese Reise schicken, gar schubsen, denn es ist es wahrlich wert, von jedem Einzelnen verschlungen zu werden. Und ja, es wäre auch es wert, den Pflichtlektüren in der Schule einen neuzeitlichen Compagnon an die Seite zu stellen. Vielleicht verhindert ja genau das weitere gescheiterte Dichter und Denker Beziehungen wie meine eigene durch pure Prävention statt Abschreckung.