Wären wir doch nur alle Tell
Bewertet mit 4 Sternen
Joachim B. Schmidt greift in seinem Roman "Tell" den Klassiker von Schillers "Wilhelm Tell" um die Schweizer Nationallegende auf. Vorweg muss man sagen, dass man die Sage über Wilhelm Tell nicht kennen muss um diesen Roman gerne zu lesen und alle die Wilhelm Tell aus der Schule kennen, können mit diesem Roman sicher ihren Frieden mit Wilhelm Tell schließen.
Zum Inhalt: Die Handlung erstreckt sich über nur wenige Tage in den Schweizer Alpen, in abgelegenen Bergdörfern und kleineren Siedlungen. Die wichtigsten Figuren Wilhelm Tell, sein Sohn und der Landvogt Gessler spielen auch in dieser Form die Hauptrollen. Erzählt wird, wie Tell zufällig im Gebirge auf Gessler inklusive Leibwächter Harras trifft. Tell ist dort mit seinem Sohn unterwegs um zu jagen. Dies veranlasst den tyrannischen Harras dazu, dem selbstbewussten Tell einen Denkzettel zu erteilen. Er lässt Soldaten auf seinem Hof aufmarschieren um das Wild zu beschlagnahmen und am besten Tell gleich festzunehmen. Dies verhindert Tells Mutter bezahlt das aber mit ihrem Leben. Anschließend kommt es auf dem Markt in Altdorf zu der berühmten Hut- und Apfelschuss-Szene, Tell wird festgenommen, kann aber fliehen und tötet den Landvogt und seine Begleiter. Schwer verletzt zieht er sich in das Gebirge zum sterben zurück, damit seine Familie verschont bleibt. Die Legende um den Schweizer Freiheitskämpfer ist geboren.
Schmidt lässt in seinem Roman viele Figuren aus ihrer Perspektive immer abwechselnd erzählen, Tells rasende Wut über die Ungerechtigkeit (und noch mehr) wechselt rasant mit Gesslers Sehnsucht nach Familie, Harras Gewaltgelüsten und Walters Kampf um Anerkennung und Glück. Das reißt einem als Leser unwiederruflich mit in die Handlung und man kann das Buch nur schwer weglegen. Schmidt schafft es Tell als stoischen Helden und Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit trotz seiner Art mit Familie, Frau und Kindern umzugehen, durchaus sympathisch wirken zu lassen.
Zunächst etwas irritiert, was das mit der Geschichte zu tun haben mag, dann aber stimmig fand ich die Thematik des Missbrauchs durch die Kirche und die Geschichte um die Figur Peter, Tells Bruder - abschließend ist das alles stimmig und gelungen.
Man kann wirklich von allen Figuren gut nachvollziehen, warum sie so sind wie sind und entsprechend handeln. Gefehlt hat mir ein bisschen der politische Aspekt von damals - man erfährt zwar deutlich die Ungerechtigkeit die der Bauersfamilie Tell widerfährt, bekommt aber den Eindruck, dies sei etwas subjektives. Oder zumindest wundert man sich, warum kein einziger anderer Bauer sich öffentlich gegen die "Habsburger" stellt. Gut fand ich dann aber wiederum, dass Gessler sehr wohl merkt (allerdings nur in seinem abschließenden Sterbemonolog), dass sie hier nicht erwünscht sind: "Keiner will uns hier haben, sie alle sind Tell."
Das Ende war mir ein bisschen zu friedlich, Tell macht seinen Frieden mit dem Pfarrer, seinem (Stief-)Sohn und letztlich mit seinem Bruder und geht "in den Berg" - hm.... Ganz zum Schluss kommt Lotta, Tells jüngste Tochter, als Großmutter zu Wort - sie erzählt wie es ihre Familie geschafft hat Wilhelm Tell zu einer Legende werden zu lassen. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, es war ein echter Pagerturner und ich wünschte es gäbe heute ein paar mehr wie Tell - wir könnten sie gebrauchen.