Rezension

Wilhelm Tell - auf grandiose Weise neu erzählt

Tell
von Joachim B. Schmidt

Bewertet mit 5 Sternen

Spannender, berührender, großartiger kann ein Roman nicht sein als diese Neuinterpretation der bekannten Wilhelm Tell-Sage

Die Sage des Schweizer Freiheitshelden ist hinlänglich bekannt. Hier wird sie neu erzählt.

Joachim B. Schmidt hat dazu eine ganz besondere Form gewählt: In kurzen Sequenzen lässt er einzelne Betroffene zu Wort kommen. Die spinnen den roten Faden der Handlung, indem sie sie aufgreifen, dort, wo der Vorerzähler aufhörte, oder eine andere Sichtweise einbringen, Erkenntnisse verfeinern. Das ist ein Staffellauf über eine weite Strecke, bei welcher der Stab von Hand zu Hand geht und sich - von einer Ausnahme abgesehen - genau wie dieser strikt an eine durchgängige Chronologie hält. 

Man könnte bemängeln, dass der historische Hintergrund so gar nicht beleuchtet wird. Das wäre aber sehr kurz gedacht, denn das würde die radikal subjektiven Sichtweisen der einzelnen Personen verunmöglichen, und genau davon lebt das Buch. Die wechselnden Perspektiven erlauben sehr exakte Einblicke in Gefühlswelten, Wahrnehmungen und Gedanken, und verbauen die einzelnen Sequenzen zu einem bunten Mosaik, dessen Motiv sich nach und nach herausschält.

Wilhelm Tell zeigt sich als verschlossener, eigenbrötlerischer Bergbauer, dessen schwieriger Charakter sich später erklärt. Neben seiner Frau Hedwig, beider Mütter und dem ältesten der drei Kinder kommen Nachbarn und Freunde zu Wort, manchmal auch völlig Fremde. Und natürlich die Gegenspieler in Form marodierender Soldaten sowie Landvogt Gessler selbst. 

Nur wenige, wie etwa der abscheuliche Harras, erfüllen, ja, überfüllen ihr Klischee. Andere zeigen sich unentschlossen, ängstlich, nachdenklich, überraschen andere und manchmal sich selbst - menschlich eben durch und durch. 

Trotzdem ist auch Platz für Helden. Walter beispielsweise, der Erstgeborene, erobert die Herzen durch Besonnenheit, Verantwortungsbewusstsein und Mut. Aber auch die Großmütter, die, jede auf ihre Art, so viel zu geben bereit sind für die anderen. Und ja, auch Tell. Allerdings keineswegs so, wie man es erwartet.

Beeindruckend auch die Sprache: Mit großer Leichtigkeit führt sie nicht nur in die harsche Umgebung, die kargen Bedingungen der Zeit und der Region, in welcher die Geschichte angesiedelt ist, sondern überzeugt zudem als jeweils eigener Ausdruck der gerade erzählenden Person. 

Ein wunderbares, großartiges, anrührendes Buch. Und, ganz nebenbei erwähnt, spannender als jeder Thriller.