Rezension

Mehr als eine Neuauflage

Tell
von Joachim B. Schmidt

Bewertet mit 5 Sternen

Neuauflagen haben es nicht leicht. Sie müssen sich mit dem Original messen und dürfen dabei nicht einfach nur eine Kopie sein. „Tell“ gelingt beides sehr gut.

Neuauflagen haben es nicht leicht. Sie müssen sich mit dem Original messen und dürfen dabei nicht einfach nur eine Kopie sein. „Tell“ gelingt beides sehr gut.

Das Buch interpretiert die alte, bekannte Geschichte neu. Es erzählt in einem einzigartigen Stil. Springt schnell zwischen verschiedensten Blickwinkeln und gibt der Erzählung so Dynamik und Vielschichtigkeit. Es nutzt die Geschichte für mehr als ein Thema. Berichtet über Ungerechtigkeit, Macht, Missbrauch, Glaube, Wut, Ohnmacht, Rache, Familie und den Lauf der Zeit.

Außerdem interpretiert das Buch Rollenbilder neu. Wilhelm Tell ist eine strittige Person mit tiefen Abgründen, kein eindeutiger Held. Der tyrannische Herrscher ist ein liebevoller Vater und Ehemann, unglücklich als Herrscher über ein widerspenstiges Volk. Die Frauen sind mehr als Hintergrundfiguren und Opfer. Der Pfarrer mehr als ein Verfechter von Glaube und Gerechtigkeit. Der Sohn mehr als seine Herkunft.

Das alles gefällt mir sehr gut. Es regt zum Nachdenken an und es macht die Geschichte spannend, auch wenn man ihren Verlauf bereits kennt. Damit kann das Buch es locker mit vorherigen Versionen der Geschichte aufnehmen. Auch sprachlich. Der Schreibstil ist modern, passt aber in die frühere Zeit und Atmosphäre. Er ist bildhaft, klug, und einfühlsam. Die 280 Seiten waren schnell gelesen.

Das Buch ist damit mehr als eine Neuauflage. Es ist eine Neuinterpretation. Es misst sich selbstbewusst mit dem Original, hat eigene Ansichten und einen eigenen Stil. Es kopiert nicht, sondern hat sogar genug Schalk für Anspielungen. Das alle gefällt mir sehr gut.