Rezension

So entstaubt man einen Klassiker

Tell
von Joachim B. Schmidt

Bewertet mit 5 Sternen

Wilhelm Tell, Mythos und Schweizer Nationalheld, dessen Geschichte von Friedrich Schiller in die Bühnenfassung gebracht wurde. Für Generationen von Schülern Pflichtlektüre. Und jetzt kommt Joachim B. Schmidt, der nach Island ausgewanderter Schweizer daher, entstaubt und modernisiert den eidgenössischen Klassiker. Und wie er das macht ist furios, denn bei ihm kommt die Geschichte des Freiheitskämpfers, der so virtuos mit der Armbrust umgehen konnte, im Gewand eines Pulp Romans daher.

Schmidt reduziert den Stoff auf das Wesentliche, gibt den Akteuren aber einen differenzierten Hintergrund mit. Fünf Akte werden zu zehn Kapiteln, innerhalb derer die Sichtweisen aus zwanzig unterschiedliche Perspektiven in hohem Tempo wie Trommelfeuer auf den Leser einprasseln und kaum Zeit zum Luftholen lassen. Unterstützt und forciert wird das noch durch jede Menge Cliffhanger.

Das Personal bleibt bekannt, aber der Autor knackt die Distanz, die man bei Lesen des Originals hat, weil er einen Blick in deren Innerstes wagt. Tell, immer noch in Trauer wegen des Todes seines Bruders, steht stellvertretend für die Bergbauern. Ist ausgelaugt von der schweren Arbeit, wortkarg, unberechenbar, brutal. Gessler, der Reichsvogt, ist ein Zauderer, entschlussschwach zweifelnd. Harras, sein Stallmeister, hingegen verkörpert den Oberschurken, der voller Verachtung auf die Bauern schaut und sie demütigt. Bemerkenswert allerdings ist die Rolle der Frauen, die aus dem Hintergrund treten, aktiv sind, die tun, was getan werden muss, um ihre Familie und den Besitz zu beschützen und ihren Beitrag zum Überleben leisten.

Eine gelungene Neuinterpretation des Klassikers, die das Zeug zur Schullektüre hat. Am besten im direkten Vergleich mit dem Original.