Rezension

Ein Doktor für Sherlock Holmes

Teufelsgrinsen - Annelie Wendeberg

Teufelsgrinsen
von Annelie Wendeberg

Bewertet mit 3 Sternen

Ich habe einen Kater.

Ich meine jetzt keine schnurrende Samtpfote, obwohl das auch auf mich zutreffen würde, sondern eher so einen wie nach dem Genuss von zu viel Alkohol. (Obwohl ich das eigentlich auch nicht behaupten kann, denn betrunken war ich noch nie, was wohl die Voraussetzung für einen Kater ist.) Aber ... ich fühle mich ernüchtert.

Was habe ich mich auf dieses Buch gefreut. Ich liebe Holmes (den echten, nicht die Version von BBC), ich liebe das viktorianische Zeitalter, ich liebe starke Frauen in spannenden Geschichten, und all das schien hier gegeben zu sein. Und doch ... ich kam mir vor wie in einem Sterne-Restaurant, bei dem irgendwas schiefgelaufen ist. Alle Zutaten waren da, doch irgendwo und irgendwann war der Koch abgelenkt und hat da ein wenig zu viel des Guten und da ein wenig zuwenig hineingetan.

Das Positive zuerst: die Idee.
Brillante Idee. Eine Frau - Anna Kronberg - wird in einer Zeit, in der Frauen zum Studium nicht oder fast nicht zugelassen werden, Arzt. Dazu schneidet sie sich die Haare ab und gibt sich für einen Mann aus. Anton Kronberg wird der führende Bakteriologe in London und somit gern von der Polizei angefordert, wenn Tote gefunden werden, die möglicherweise Cholera oder andere gefährliche Krankheiten gehabt haben. Bei einem dieser Fälle trifft sie in ihrer Verkleidung als Anton auf den scharfsinnigsten Denker ihrer Zeit: Sherlock Holmes. Der Detektiv durchschaut sie auf Anhieb, hält aber den Mund. Und so geraten beide in einen Fall, der sich bis in die höchsten Regierungskreise zieht und Anna und Holmes mehr als einmal in Lebensgefahr bringt.

Hört sich super ist. Zwei starke Charaktere, beide gesegnet mit überragender Intelligenz, Mut und Durchsetzungskraft.

Und doch fehlt etwas. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, dass Holmes eigentlich nur dazu da war, um Anna in einem noch besseren Licht dastehen zu lassen. So scharfsinnig er war, Anna übertrumpfte ihn immer um noch einen Hauch. Natürlich kann sich Holmes auf Dauer auch nicht ihrer Anziehungskraft entziehen, was er natürlich auch nicht zugeben kann, denn er ist ja der kalte, emotionslose Detektiv.
Das Problem des Buches liegt in meinem Fall daran, dass Erwartungen geweckt wurden, die nicht erfüllt wurden. Holmes ist nicht der Holmes aus den Conan Doyle Romanen, wie es auch Watson nicht ist. Hier wurde lediglich Name Dropping betrieben, aber ich bin mir nicht sicher, ob die Autorin jemals ein Holmes-Buch gelesen hat. Zumindest ist ihre Interpretation von Holmes eher BBC-bezogen als Canon.

In den entscheidenden Stellen wurde durch das Buch gehuscht, die Handlungen ratzfatz ohne große Komplikationen abgehandelt, während sich nicht relevante Ereignisse zogen wie Kaugummi. Man darf davon ausgehen, dass sich die Autorin bei ihrem beruflichen Hintergrund mit den Ereignissen, die sich auf Cholera beziehen, auskennt, und ich werde daher auch ihre Darstellungen nicht anzweifeln.
War es jedoch wirklich nötig, Anna auch noch all diese tragischen Sachen in der Vergangenheit zu verpassen? Gibt es irgendwo ein Handbuch für Autoren von historischen Romanen, bei dem unter Paragraph 1, Absatz 3 steht, dass weibliche Protagonisten unbedingt männliche Gewalt erleben müssen? Anstatt mir Anna und ihren Charakter näher zu bringen, erreichte es bei mir das Gegenteil: Sie entfernte sich von mir, weil ich es als Abhaken von Charakterdarstellung empfand.

Fazit: Die Autorin schreibt gut und hat ihre Recherche ernst genommen. Durch gehetzte Ereignisse und inkonsequente Charakterdarstellung hat sie jedoch großes Potenzial für dieses Buch verschenkt.